Die sanfte, aber starke Emotion
REST DER WELT / PARIS / WERTHER
20/01/10 Massenets "Werther" mit Jonas Kaufmann an der Opéra de Bastille. - Aus einem bunten Strauß mit zwanzig Neuproduktionen an zwei Häusern.Von Andreas Vogl
Seit Herbst letzten Jahres ist Nicolas Joel der neue Intendant der Pariser Opernhäuser "Bastille" und "Garnier". Für seine erste Saison hat er zwanzig Neuproduktionen bzw. Neueinstudierungen von Opern angesetzt, darunter Werke des Barock (Rameaus "Platée"), viel Belcanto und Versimo ("Liebestrank", "La sonnambula", "Don Carlo", "Andrea Chénier") und Französisches Fin du Siécle ("Hoffmann", "Mireille"), Deutsches (Neuer "Ring"-Start mit "Rheingold" und "Walküre" sowie "Salome" und "Tote Stadt") und 20. Jahrhundert ("Wozzeck", "Billy Budd").
Ein einziger Mozart ist dabei, "Idomeneo": Die Inszenierung von Luc Bondy wird von der Mailänder Scala übernommen. Von den ursprünglich geplanten Starsängern Rolando Villazon (Idomeneo) und Anna Netrebko (Elettra) blieb nach Absagen einzig Vesselina Kasarova als Idamante am Besetzungszettel. Premiere ist morgen, Mittwoch (20.1.) - zwei Tage vor der "Idomeneo"-Aufführungsserie im Rahmen der Salzburger Mozartwoche (einer Koproduktion mit Aix en Provence).
Dieser Tage hatte in Paris am 14. Jänner 2010 Jules Massenet’s "Werther" Premiere. Auffallend am Spielplan Joel’s ist die hohe Dichte an Koproduktionen oder Übernahmen von anderen Häusern: Gleich zwei Inszenierungen kommen aus Wien, weiters haben die Mailänder Scala, Florenz, Toulouse und im Falle des "Werther" London die Opern jeweils schon zuvor gezeigt.
Benoit Jacquot, der französische Filmregisseur und Drehbuchautor, wagte sich zum zweiten Mal an eine Oper. Er adaptierte bereits Puccinis "Tosca" für die Kinoleinwand als Film (mit Roberto Alagna und Angela Gheorghiu), für sein Debüt auf der Bühne wählte er aber Jules Massenets "Werther".
Die aussagekräftige Musik stellt den inneren Kampf der leidenden Figuren präzise dar, Jacquots Regie geht darauf sehr gut ein und lässt oft nur die Charaktere wirken. Die vorwiegend leere Bühne - das Bühnenbild deutet meist nur mit Mauern oder Türen die Spielorte an - wird zusätzlich mit viel Licht zum pastellfarbenen Schauplatz eines introvertierten und vollkommen auf die Personen bezogenen Spiels.
Jonas Kaufmann in der Titelrolle: Zwar war man anfangs durch seine lethargisch und zurückhaltende, sehr introvertierte Interpretation irritiert. Aber gerade die leisen Töne verhalfen dem sensiblen Charakter zu einer tragischen Größe, die sich besonders am Ende, bei Werthers aushauchendem (Frei-)Tod, aufs genialste offenbarte. Natürlich bewies Kaufmann aber auch Strahlkraft und wunderbar gesetzte Spitzentöne, wie zum Beispiel im berühmten "Pourquoi me réveiller." Gestalterisch und vom musikalischen Ausdruck wunderbar dazupassend war Sophie Koch als Charlotte. Die Französin, in Salzburg bereits als Dorabella in "Cosi fan tutte" im Mozartjahr 2006 und Oktavian im "Rosenkavalier" zu sehen, wird ihr Repertoire demnächst in Richtung Wagner ausbauen (Fricka, Brangäne).
Neben dem französischen Bass-Altstar Alain Vernhes als Vater Bailli und dem gut einstudierten Kinderchor, konnte vor allem Anne-Catherine Gillet als Charlottes Schwester Sophie mit klarer, gut geführter Sopranstimme, wunderschön gesunge nen Bögen und hinreißendem Spiel überzeugen.
Die Musiker der Opéra de Paris spielten fein und zart, in den vielen kammermusikalischen Passagen wunderbar ausgeglichen. Von Berlioz bis Debussy kennt keiner die großen romantischen Komponisten Frankreichs so gut wie Michel Plasson. Dass er in der Musik Massenets, der oft als "Puccini Frankreichs" bezeichnet wird, keine brutalen, sprich veristischen Seiten sieht, sondern gelegentlich ganz und gar sanft die emotionalen Ausbrüche der Musik dirigiert, hat wiederum wunderbar zum gesamten Konzept dieser introvertierten Produktion, den Sängern und der reduzierten Regie, gepasst.