Mäuse-Rätsel. Sprach-Energie.
BACHMANN-WETTBEWERB 2020
22/06/20 Salzburg gut vertreten! Birgit Birnbacher war Preisträgerinn 2019. Mit Laura Freudenthaler las bei den 44. Tagen der deutschsprachigen Literatur eine weitere gebürtige Salzburgerin - und fuhr mit dem 7500 Euro starken 3sat-Preis heim. Im übrigen hat die achtzigjährige „DDR“- Autorin Helga Schubert die Jungen weit abgehängt und beim Klagenfurter Wettlesen den mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis errungen.
Von Heidemarie Klabacher
Ich möchte wissen, ob der Schmerz mich noch einmal aus der Ohnmacht holt, wenn mein Fleisch zu brennen beginnt. Untertage sind die Flammen täuschend ruhig. Als könnte man sie bitten, zur Seite zu treten. Und das tun sie auch, um dann aus dem Nichts wieder vor einem zu stehen, nun zu zweien, tänzelnde Irrlichter. Ich hätte nicht in diesen Schacht steigen sollen. Immer tiefer muss ich hinab, um meine Beine vor dem Eingeschlossenwerden zu bewahren... Eine beklemmende Impression aus dem Text Der heißeste Sommer von Laura Freudenthaler.
Eingeladen nach Klagenfurt werden die Autorinnen und Autoren von den Jury-Mitgliedern. Heuer fand der Bachmann-Wettbewerb coronabedingt digital statt. Zudem gab es im „Bachmannpreis-Ausnahmejahr 2020“ einen Wechsel in der Jury: Hildegard E. Keller und Stefan Gmünder verließen die Jury, neu dazu kommen waren Philipp Tingler und Brigitte Schwens-Harrant. Die weiteren Mitglieder sind Hubert Winkels als Juryvorsitzender seit 2015, Nora Gomringer, Michael Wiederstein und Insa Wilke.
Der 1984 in Salzburg geborenen Laura Freudenthaler, eingeladen von Brigitte Schwens-Harrant, bescheinigte die Jury „großes literarisches Talent“. Freudenthaler erzähle die Geschichte einer verletzten Frau und ihres Mannes, die sich auf dem Land erholen. Der Text beschreibe, so Jury-Mitglied Insa Wilke, „völlig nüchtern, wie Dinge außer Kontrolle geraten“. Da habe man es etwa mit einer Mäuseplage, einer realen Bedrohung, zu tun, „und dann mit dem Mythos des Feuers, wo sich jemand mit Göttern anlegt“.
Jury-Mitglied Klaus Kastberger fühlte sich gar „zum ersten Mal an Ingeborg Bachmann erinnert“, nahe an Marlen Haushofer, an der Tradition der österreichischen Literatur: „Das ist stilistisch in einer unaufgeregten Art und Weise vorgetragen, keine Künstelei, Sätze sind kalt und deutlich. Ich habe keinen gefunden, der mich gestört hätte.“ Freudenthaler „könnte eine aus den tausend sein, die bleiben könnte“.
Jury-Mitglied Philipp Tingler habe sich anfangs ebenfalls „über den Text gefreut und mit Begeisterung gelesen“, ist in der online-Dokumentation der Jury-Diskussion nachzulesen. Er, so Tingler „registriere ein großes Talent für Verdichtung“, wünschte sich aber irgendwann, „die Autorin würde das große Talent in den Dienst einer Geschichte stellen“. „Die atmosphärische Dichte“ erreichte auch den Juryvorsitzenden Hubert Winkels, aber die dräuende Apokalypse bleibe stecken, es gebe zuviele lose Fäden. Ihm sei Freudenthalers Wille zur Verrätselung zu stark ausgeprägt. „Man bleibt in einem Rätsel gefangen.“ Die Geschichte sei verstörend und werfe viele Fragen auf, bestätigte Brigitte Schwens-Harrant. Doch die Brände und Plagen gebe es ja wirklich, das sei gar nicht so fiktiv.
Kurz nach oder noch immer taumelnd am Rande von Corona kommt einem beim Nachlesen – alle eingereichten Texte sind online – kommt einem vieles ganz real vor... Im Radio wird stündlich durchgesagt, körperliche Anstrengung im Freien sei zu vermeiden. Auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr sei zu achten. Offenbar geschwächten Personen sei Hilfe zu leisten. Andere Spaziergänger treffe ich nicht.