Ein Romantiker des 21. Jahrhunderts
RAURISER LITERATURTAGE / ERÖFFNUNG / RAURIS.UNIVERSITÄT
28/03/19 Ein Eröffnungsabend ohne Pannen, dafür mit viel musikalischem Schwung. Ein Preisträger, der sein Publikum herausfordert und erklärt, was das 19. und das 21. Jahrhundert gemeinsam haben. Die Rauriser Literaturtage 2019 sind eröffnet.
VON ZOE VITZTHUM
Der Auftakt zu den diesjährigen Rauriser Literaturtagen verlief überaus heiter. Das Streichquartett der Jungen Philharmonie Salzburg spielte überraschend erfrischende Nummern wie eine Interpretation des italienischen Schlagers Azzurro, die Titelmelodie der Kinderzeichentrick–TV–Serie Heidi und einen südamerikanischen Tango. Die Intendanten, Ines Schütz und Manfred Mittermayer, glänzten bei der Eröffnungsrede als ein perfektes Moderatorenteam.
Die 49. Rauriser Literaturtage finden dieses Jahr zum Thema „Auf.brüche“ statt. Die eingeladenen Autoren stellen Texte vor, die sich besonders mit diesem Thema auseinandersetzen. „Migration ist eine spezielle Herausforderung unserer Zeit, ein Thema, mit dem sich die Kunst auseinandersetzt, speziell die Literatur“, so Manfred Mittermayer. Das Thema Migration lasse sich zwar durch Statistiken darstellen, jedoch habe die Literatur den Vorzug, emotionale und intuitive Aspekte an Einzelschicksalen zeigen zu können.
Der Schriftsteller Philipp Weiss ist der Gewinner des Hauptpreises, der mit 8000 Euro dotiert ist. Sein Debütroman Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen umfasst mit fünf Bänden mehr als tausend Seiten. Auch er liest an diesem Abend für das gespannte Publikum. Vor seiner Lesung kündigt er an, es handle sich um ein Medley aus seinen fünf Bänden, die alle einen eigenen fiktiven Erzähler haben, nämlich die Hauptfiguren der einzelnen Bände. Hinzu kommt, dass alle Bände in einem unterschiedlichen Format verfasst sind: So finden sich in dem graublauen Schutzschober eine Enzyklopädie, ein Tagebuch, ein Roman, ein Manga und ein Transkript einer Audioaufzeichnung. Was erwartet uns? Philipp Weiss benennt es in einem Satz: Es geht „um den Aufbruch der Menschheit und um die Frage ‚Wohin geht’s denn eigentlich?’“ – ein größenwahnsinniges Vorhaben, wie es Esther Schneider in ihrer Laudatio formuliert.
Während der Lesung springt Weiss zwischen den Bänden hin und her. Zwar versucht er dem Publikum durch das Aufstellen des momentan gelesenen Bandes zu verdeutlichen, welche Figur gerade zu uns spricht, jedoch greifen die Passagen so lückenlos ineinander, dass man die Bruchstellen beim bloßen Zuhören kaum wahrnimmt. Philipp Weiss lässt seine fünf Figuren auf die Suche gehen, nach sich selbst und nach dem Sinn. Die Figuren, zwischen den einzelnen Bänden durch Verwandtschaft, Freundschaft oder Bekanntschaft miteinander verbunden, verzweifeln an sich und ihrer Umgebung: Weil die verschiedenen Zugänge der Handelnden unterschiedliche Blickweisen auf das Leben und seine Tücken gestatten, ist der Roman in seiner Gesamtheit zu verstehen.
Der Förderungspreis 2019 zum Thema „Neubeginn“ wurde an die aus Salzburg stammende Katharina Braschel vergeben. Ihr Text Das gute Bild überzeugte die Jury, da er sichtbar mache, „was unter der Oberfläche unseres Zusammenlebens schwelt, gefährliche Verschiebungen im Alltag angesichts einer vermeintlichen Bedrohung der privaten Sicherheit und Ordnung also“, so die Begründung. Die Autorin führe „auf beklemmende Weise vor, was sich hinter dem Schein der Wohlanständigkeit verbirgt“.
Am Donnerstagmorgen (28.3.) stellen sich der Autor Philipp Weiss und die Autorin Verena Mermer Fragen von Studierenden. Verena Mermer im Gespräch mit Studenten der Universität Innsbruck zu ihrem Roman Autobus Ultima Speranza: „Der Weg ist ein Chronotopos, eine Raumzeit und er ermöglicht Begegnung oder ein Sich-Verpassen“. Im Gespräch mit den Studierenden der Universität Salzburg bestätigt Weiss, dass er große Ähnlichkeiten zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert sehe. Wie ein Romantiker versuche er, ein zusammenhängendes Gesamtbild zu erkennen und in seinem Roman zu zeichnen. Er sieht „Pessimismus als Teil des Lernens“ an, jedoch glaubt er auch daran, dass man durch die Sprache die Welt beschreiben und verstehen kann. „Ideen und Lösungen lauern überall“, das gibt uns Philipp Weiss als Ratschlag fürs Lesen mit.