Der Blick auf Fragment, Detail und das Übergreifende
RAURISER LITERATURTAGE / HEIMALM / RAURIS.UNIVERSITÄT
29/03/19 Das gute Bild muss erhalten werden. Das gute Bild ist alles. Retuschiere dein Leben. Knall die Tür nicht zu, leg eine Fußmatte aus, für die Nachbarn. Denn was sollen die sonst denken? Von Eli und Petra, die gerade ihren Entzug hinter sich haben, täglich ihre Medikamente in der Apotheke abholen müssen und auf der Suche nach Arbeit verzweifeln?
VON JUDITH RALSER
Das Thema der Rauriser Literaturtage – auf.brüche – führt am zweiten Tag nach Argentinien, Freilassing und auf eine Busreise nach Rumänien. Doch zuvor präsentiert am Donnerstag (28.3.) Katherina Braschel, Förderungspreisträgerin der 49. Rauriser Literaturtage, ihren Siegertext, der bezeichnenderweise den Titel Das gute Bild trägt.
Aus ihren spießbürgerlichen Routinen heraus haben sich Bertram und Gundi, die mit Eli und Petra im gleichen Wohnhaus leben, schon ein Bild gemacht vom anderen Pärchen, ohne jemals mit ihnen in Kontakt gekommen zu sein, geschweige denn ein Wort gewechselt zu haben. „Katherina Braschel lässt eben jene ‚dicke Mauer‘, die zwei Lebenswelten voneinander trennt, durchlässig werden, reißt die Wände nieder und gibt so einen Blick frei auf das, wovon Gundi und Bertram nichts wissen wollen“, so weist Magdalena Stieb in der Laudatio auf das Potential von Literatur hin, unterschiedliche Welten miteinander zu verbinden.
Dem Charme einer Skihütte als Literaturvermittlungsort erliegen und zwischen Hirschgeweihen und unter den wachsamen Augen der Hüttenkatze einigen Lesungen lauschen: Nach Argentinien, in einen Bus von Wien nach Rumänien und in nächste Nähe, an die Freilassinger Grenze zwischen Deutschland und Österreich, führen die Werke von Petra Nagenkögel, Verena Mermer und Vladimir Vertlib auf der Heimalm.
Petra Nagenkögels beeindruckendes Werk Dort. Geografie der Unruhe sucht das argentinische Leben im Streifzug, im Flanieren, in unablässiger Bewegung zu erleben. Die Reisende lässt sich auf das Bruchstückhafte, auf die Verwundungen durch die Zivilisation, auf Erinnerungsorte, auf Geschichte und Geschichten ein. Verschiedenene Schichten entwickeln sich im sprachlichen Näherkommen an die Brüchigkeit der Wahrnehmung, der Rhythmus der Stadt wird zum Rhythmus der Sprache, zum Rhythmus des erzählenden Ichs. Das gegenwärtige Argentinien hat sich das Europa der Einwanderungszeit einverleibt und noch nicht verdaut, überall sind Unstimmigkeiten zu erkennen, der Blick nimmt auf, neugierig, offen, nimmt wahr und gibt wieder, die Sprache als Medium, um Fremdheit kommunizieren zu können.
Der Freitag Vormittag (29.3.) steht im Zeichen der studentischen Arbeitskreise mit Sarah Michaela Orlovský, Daniel Wisser und Susanne Fritz und bietet vielfältige Einblicke in deren Schreibprozesse. Die im Zuge der Literaturtage meist etwas kurz kommende Kinder- und Jugendliteratur wurde im Zuge der Studentengespräche am Freitag aus ihrer Versenkung gehoben. „Ich finde, es gibt Literatur, und Literatur muss für alle da sein“, erklärt Sarah Michaela Orlovský ihren Zugang, der sich nicht alleine auf Kinder als Leser beschränkt und intensiv in Kontakt zu ihren Zuhörern tritt.