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„Man eylete mit ihnen in ihre Herbergen...“

LESEPROBE / REBELLER, OPFER, SIEDLER

03/07/15 Unterbringung in Zelten; der Pauschalverdacht, kriminell zu sein; Polemik und Neid: Schlagzeilen jeden Tag, wenn es um Flüchtlinge geht. Rückblende auf die Jahre 1731/32: Da waren Salzburger Protestanten als Exilsuchende unterwegs. Eine Welle der Hilfsbereitschaft gab es damals für sie, aber auch Vorbehalte... Eine Leseprobe aus dem bei Pustet erschienenen Buch „Rebeller, Opfer, Siedler“ von Christoph Lindenmeyer.

Von Christoph Lindenmeyer

Nächstenliebe auch in Gera. Manche Professoren nehmen bis zu dreißig Menschen in ihren Häusern auf, die Studenten bemühen sich sehr, und Spenden werden verteilt: Es sind keine kleinen Beträge, die zusammenkommen. In Erfurt eilen die Einwohner aus der Stadt, sie verschenken ihre eigene Kleidung an die Reisenden. Vor allem Dienstboten geben alles her, was sie besitzen.

Alle Handwercks-Leute brachten von ihrer Arbeit etwas herzu. Ein gewisser Strumpff-Würcker gab vier und zwantzig Dutzend Strümpffe her: Die Kürsch- ner brachten Mützen und Muffen, und die Schuster nahmen die Schuhe von den Lader herunter, und brachten sie den Saltzburgern. Ja unter diesen letzten fand sich einer, der mit lauter gemahlten Frauenzimmer-Schuhen handelte. Er kehrete sich aber daran nicht, sondern theilete dieselben gestrost unter die Emigranten aus, ob sie sich gleich sonst eben nicht für dieselben schickten. Diejenigen, die ihre Wagen im Felde hatten, um das Geträyde einzufahren, liessen alles stehen und liegen, luden die Saltzburgischen Fußgänger auf, und fuhren sie in ihre Quartiere. Man eylete mit ihnen in ihre Herbergen, um sich an ihnen zu erbauen. (…)

Die Salzburger bedanken sich, sie verschenken ihre grünen Hüte. Wie Trophäen bewahren die Städter diese Kopfbedeckungen auf. Dorfbewohner aus Mittelhausen, Schwanensee und anderen Orten wenden sich an Kriegsrat Herold, man möge ihnen doch bitte auch möglichst viele Salzburger schicken, damit sie an ihnen ihre Barmherzigkeit beweisen können.

In Weimar wird das Empfangskomiteé vom Herzog genau festgelegt. In Arnstadt blasen Posaunisten vom Turm des Rathauses ein Willkommensständchen. In Gotha ist es nicht viel anders. Der Transport verspätet sich um vier Tage; es ist aber sehr heiß und die Wege durch den Frauenwald sind in miserablem Zustand. Einhundert Salzburger werden auf das Schloss eingeladen, nach dem Festessen defilieren sie paarweise am Herzog vorbei. Sie tragen eine Weimarer Bibel, in Cordstoff eingeschlagen, ihren Reihen voran. Der Königlich-Preußische Kriegsrat Herold hatte das Geschenk des Herzogs Friedrich vermittelt. Der Herzog wendet sich an den preußischen Beamten: Wie kommt es, dass diese Leute so gebildet sind? Herold antwortet: „Sie besaßen im Salzburgischen drei oder vier Bibeln, die sie wie Heiligtümer verwahrten. Wahrscheinlich haben sie den einen oder anderen Band heimlich auf die Reise herausschmuggeln können und auf ihren Transport mitgenommen.“ (…)

Im Gesichte waren sie gantz schwartz, weil sie auf ihrer langwierigen Reyse von der Sonne verbrannt waren. Die Kleider, damit sie die Leiber bedeck- ten, waren auch nicht die besten. Die Kinder hatten sie in den Wiegen auf dem Rücken angebunden, oder trugen sie vor sich auf den Armen. Auf den Wagen lagen sehr viele Krancke, unter denen viele Kinder waren, die die Pocken hatten. Und was dergleichen bejammernswürdige Umstände mehr waren. Hierdurch wurden vieler Hertzen dermassen gerühret, daß sie viel tausend Thränen vergossen, und ungemein viel geld unter sie austheileten. Man merckete an, daß Gulden, Species-Thaler, ja von einigen gar Ducaten unter sie ausgetheilet wurden. (...)

Die Salzburger sind überrascht und überwältigt. Denn unterwegs waren in den katholischen Gebieten die Fuhrkosten massiv erhöht worden, die Lebensmittelpreise stiegen plötzlich an. In den Nächten versuchten einige Katholiken, den Salzburgern ihre Kinder wegzunehmen. Aber auch Preußen ist nicht das Himmelreich auf Erden. Immer wieder schleichen sich Betrüger in die Reihen der Salzburger ein, um Geldspenden zu erhalten. Sie tragen nachgeschneiderte Salzburger Trachten. Prediger anderer Konfessionen versuchen, die Emigranten zu missionieren. Es fehlt nicht an Denunziationen. Sie beten nicht, die Salzburger, beschwert sich ein Bürger, sie fluchen. Sie stehlen. Nichts kann ich vor meinem Haus unbewacht liegen lassen. Das sind keine guten Menschen. Kein einziger Vorwurf lässt sich beweisen, die Wirklichkeit spricht gegen solche Beschuldigungen. Aus Polen eingeschleuste Pilger werben für die römisch-katholische Konfession. Das Muster solcher Überredungsversuche ist den Emigranten aus ihrer Heimat bekannt. Sie bleiben standhaft. Sie bleiben freundlich und bescheiden. (…)

In Ansbach hatten sich fünf Menschen den Exulanten angeschlossen. Sie gehen von Haus zu Haus und betteln. Keiner der Salzburger bettelt. So werden sie enttarnt. Zwei Soldatenfrauen haben sich als Salzburgerinnen verkleidet. Sie werden von mitleidigen Bürgern reich beschenkt. Als sie in einer Gast- stube bewirtet werden, tritt ein Soldat ein. Er erkennt die Frauen auf Anhieb. Sie sind Betrügerinnen. (…)

Sind die Geschichten wahr, die überall verbreitet werden? Es sind fleißige junge Leute mit einem guten Ruf, die zurückkehren, unter ihnen auch Frauen. Es gibt dort keine Arbeit für uns! Wenn wir den Behörden gesagt haben, dass wir endlich arbeiten wollen, kam stets nur die Antwort: Jetzt wartet noch etwas. Habt Geduld! Sie haben Geduld, aber als das Geld ausgeht, werden sie wieder vorstellig: Wir wollen Arbeit oder etwas Verpflegung aus den königlichen Vorratshäusern. Die Antwort ist unfreundlich: Geht dorthin, wo ihr Arbeit findet!

So gehen viele zurück. Sie erinnern sich an die Bürgerinnen und Bürger in den Städten, die ihnen während ihres Zuges durch die Länder im Übermaß geholfen hatten. Ganze Gruppen von Salzburgern lassen sich überall in Preußen nieder, um Arbeit und eine Unterkunft zu erhalten, andere reisen weiter. Berichtet wird, dass in Preußen ein Befehl erteilt wurde: Salzburger, die aus Preußen wegziehen und einen Rückweg durch Polen suchen, seien ohne Verzug aufzuhängen. Es gibt auch andere Meinungen. Es solle nur vermieden werden, dass die Salzburger nach Deutschland zurückgehen. Sie sollen sich vielmehr eine Arbeit in Preußen suchen. Ein Chronist will diesen umstrittenenen Befehl, von dem so viele reden, persönlich einsehen. Er bittet die Behörden in einem Schreiben darum, ihm eine Kopie des angeblich existierenden Befehls zur Verfügung zu stellen. Er erhält das Papier nicht, zudem verbürgt sich niemand für die Richtigkeit der Information. Deshalb nimmt er schließlich an, das Ganze sei eine reine Erfindung von Leuten, die den Salzburgern nicht wohlgesonnen sind.

Denn in Preußen, vor allem in Preußisch-Litauen, gibt es viele Feinde. Es sind vor allem jene Menschen, die neidisch auf die neuen Siedler sind. Es sind die, deren Platz die neuen Siedler einnehmen.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Anton Pustet
Christoph Lindenmeyer: Rebeller, Opfer, Siedler. Die Vertreibung der Salzburger Protestanten. 336 Seiten. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2015. 24.- Euro – www.pustet.at

Buchpräsentation am Dienstag (7.7.) um 19 Uhr in der Dombuchhandlung

Zur Buchbesprechung Das Boot war damals nicht voll

 

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