Aus dem Nestroy-Jackpot
LANDESTHEATER / LUMPAZIVAGABUNDUS
02/02/10 Was für ein liederliches Jungvolk geht da um? Eine Riesenbierflasche ist auf der Bühne, Marke Lumpazi-Bräu. Sind wir an der Bar-Meile am Salzach-Gestade, wo den jungen Leuten das öffentliche Saufen doch eigentlich verboten wäre?Von Reinhard Kriechbaum
Aber nicht nur, dass sie saufend ihr Geld durchbringen. Hilaris und Brillantine sind ein Schwulenpärchen, und keiner scheint sich was dabei zu denken - o tempora o mores! So weit, so heutig. Die weiß gewandeten Figuren, die eigenwilligen modischen Apercus und die Haartracht zeigen uns an, dass wir doch nicht ganz in unserer Zeit sind und nicht einmal unter echten Menschen: Es ist ja die Geisterebene, wo Lumpazivagabundus (eine Dame übrigens) für die Verlotterung zuständig ist. Andere - etwa die Glücksfeen Fortuna und Amorosa - haben eher das Positive im Menschenleben im Sinn. Und wieder andere - etwa der etwas verschlafene Stellaris - sehen sich die Sache mal "ergebnisoffen" an.
Man weiß hierorts um das Temperament der Regisseurin Beverly Blankenship (die im Landestheater schon den "Talisman" und "Merlin" inszeniert hat) und weiß also, dass man keine zaghaft erzählte Geschichte zu erwarten hat. Die Sache wird nicht in Wien geerdet (wenn auch der tollkühne Dialekt-Mischmasch auf Österreich verweist). Beverly Blankenship übergießt die Aufführung mit einer ordentlichen Portion Monty Python-Humor. Was die Geister da aushecken, ist ein Psychotest im Self-made-Verfahren: Sie selbst schlüpfen in die Rollen jener, mit denen es die Handwerksburschen Knieriem, Zwirn und Leim zu tun bekommen. Werden die drei, wenn sie erst Geld haben, dem Lotterleben abschwören?
Nur Leim, der echt Liebende, geht einer Jung-Fee auf den solchen. Nicht einmal von den beiden unterschobenen Wechselbälgen (Hilaris und Brillantine sind die Monster-Babys und führen sich recht garstig auf) lässt er sich abbringen vom aufrichtigen Weg ins Familienleben. "I hab glaubt, des isch a Komödie", sagt der weinerliche Leim einmal in breitem Tirolerisch.
Bis die Story in Gang kommt, braucht es seine Zeit, trotz viel Betriebsamkeit. So rechten Biss bekommt die zugespitzte Art von Slapstick erst nach der Pause. Als Nestroy-traditionsbehafteter österreichischer Zuschauer muss man sich obendrein erst hineinfinden in einen Zugang, der so völlig anders ist als alles, was man zwischen Burg und Josefstadt mit dem "Lumpazivagabundus" gemeinhin anfängt. Vom typischen Wortwitz bleibt wenig über. Dass sich bei Nestroy "die Sprache Gedanken macht über die Dinge", hat Karl Kraus geschrieben. Eigentlich ist dieser "Lumpazivagabundus" nur eine Geschichte nach Nestroy - aber die ist deswegen nicht schlecht.
Und die Schauspieler sind sowieso im Totaleinsatz: Fritz Egger ballt als Knieriem gerne die Fäuste und ist doch immer ein gutmütiger Latsch. Sascha Oskar Weis, den die Kostumbildnerin Susanne Hubrich in einen Pret-a-porter-Pyjama gesteckt hat, lässt den Bonvivant raushängen. Und Georg Clementi wuselt als Leim mit wallendem orangen Haaren und rotem Tischleranzug herum in diesem liebenswürdigen Trio infernal.
Die Geisterwelt muss irgendwo auf einem anderen Planeten ausgebüchst oder Opfer von Genmanipulation geworden sein: Sie alle haben lustige Schweinsohren, so unterschiedlich und extravagant sie auch aussehen: Christina Einböck, Britta Bayer, Susanna Szameit, Gerhard Peilstein, Werner Friedl und noch einige mehr. Matthias Hungerbühler und Tim Oberließen sind Hilaris und Brillantin. Das sieht alles nach zu Bühnenleben gekommenem Comic-strip aus.
Für Slapstick bleibt ausreichend Raum in dieser turbulenten Inszenierung zu der John Lloyd Davies ein Bühnenbild aus gründerzeitlichen Hausfassaden gemacht hat. Von ihnen hebt sich das grellbunte Spiel doppelt krass ab. Für die Couplets hat man bei Werner Schneyder aktuelle Politik-Anspielungen bestellt, und Sigrid Gerlach-Waltenberger ist als zierliche Musik-Elfe fantasiereich am Akkordeon tätig und viel beschäftigt. Das hat mit Adolf Müllers Original-Bühnenmusik ebenso wenig zu tun wie die ganze Aufführung eigentlich noch mit Nestroy - aber es ist ein durch und durch vergnüglicher Theaterabend.