Traditionell unkonventionell
REST DER WELT / DONAU FESTIVAL KREMS
05/05/15 Gratwanderungen sind für das seit 2004 von Tomas Zierhofer-Kin geleite donaufestival obligatorisch. Unter dem Motto „Rebuilding the world“ waren heuer an sechs Tagen sechzig Performancevorstellungen, neun Installationen und Ausstellungen und 46 Konzerte zu erleben.
Von Sascha-Alexander Todtner
Die Performancegruppe Miss Revolutionary Idol Berserker rund um die Theatermacherin Toco Nikaido entführte das Publikum aus dem beschaulichen Krems in eine knallbunte Reizüberflutung. „The Dawn oft he Revolution“ heißt die Performance. Am Eingang werden Einweg-Regenmäntel ausgegeben bevor ein quirliger Japaner jeden Besucher einzeln freudig begrüßt. Und dann geht’s los: 45 Minuten voller Japaner in schrillen Outfits und Perücken, Konfetti, kübelweise Wasser und Japan-Pop in den wildesten Tönen. Triefend nass, aber glücklich ist das Publikum am Ende der Performance und so mancher leicht entgeistert, ob dessen, was er gerade erleben durfte. A happy happening – so etwas ist selten zu erleben. Dieser Act am 1. Mai war denn auch einer der Publikumserfolge.
Im Klangraum Krems folgten Konzert und Performance von Planningtorock. Sie ist für ihr Spiel mit Geschlechternormen bekannt. Nicht nur, dass die Künstlerin ihren Namen von Janine zum geschlechtsneutralen Jam änderte, passt zum Tagesmotto „Mein System kennt keine Grenzen“. Das Konzert ist ein Highlight des Tages. „Queer“ wird hier nicht als sexuelle Orientierung, sondern als ein Ausbruch aus Normen und Konventionen verstanden – als ein Denken und Handeln jenseits von Dualismus und Diskriminierung. Planningtorock beginnt ihr einstündiges Konzert mit der runtergepitchten Arie der Königin der Nacht aus der „Zauberflöte“ samt Verfremdung und Modulation. Was sperrig klingt, ist eine wahre Freude, denn Planningtorocks Musik ist tanzbar und verspielt, hat Pop-Element genauso wie schräge Avantgarde-Anklänge. Und das ganze in der einmaligen Kulisse der Minoritenkirche. Genau das ist die Besonderheit des donaufestivals: Gegensätze zusammenzubringen!
Auf dem Weg von Planningtorock zum australischen Singer-Songwriter Scott Matthew in der Kremser Stadtsaal kann man noch das Ende der Performance „You are not alone“ des britischen Shootingstars Kim Noble sehen, der als Lady in Red auf einem Pferd davon reitet. Und durch den kurzfristigen Ausfall von Jam City darf Scott Matthew das Publikum länger beglücken. Der traurige Barde mit seinen schmelzenden Elegien war auf seiner Tournee ja erst jüngst in Salzburg zu Gast in der ARGE. Das donaufestival ist für Scott Matthew schon fast ein Heimspiel. Schon zum dritten Mal breitete an den Gestaden der Donau seinen bittersüßen Mantel von Melancholie und Traurigkeit aus.
Tomas Zierhofer-Kin hat es geschafft, die Österreich-Premiere des venezelanischen Producers Arca zusammen mit dem Visual Artist Jesse Kanda aufs donaufestival zu bringen. Wenige Alben wurden derartig begeistert in der Avantgarde und Indie-Szene aufgenommen wie Arcas „Xen“.
Der Hype um Arca und um das Werk des 25jährigen Künstlers ist berechtigt: Zwischen HipHop-Fragmenten, durchlöchertem Pop changierend, ohne Muster, schwer zuordenbar, aber immer transparent, neu, attraktiv und voller Beats wird das Konzert zu einer Performance. Mit roten Plateau-Stiefeln und einem aufreizenden Kostüm setzt sich Arca nicht nur musikalisch über Konventionen hinweg.
In Zusammenarbeit mit Jesse Kanda, der für die Live-Visuals verantwortlich ist (und die Musikvideos unter anderem von FKA Twigs gestaltete), erschuf Arca eine Welt, die wir nicht kannten. Wenn das Motto der diesjährigen Festival-Edition „Rebuilding the world“ ist, dann ist Arca der Phoenix, der die Welt in Schutt und Asche legt um daraus eine noch Schönere zu erschaffen!
Traditionell ist in Krems die Otto-Retter-Preisverleihung. Wie das donaufestival selber ist – sehr progressiv – gestaltet es auch diese Ehrung von Acts, die sich mit queeren und gesellschaftlich relevanten Themen auseinandersetzen. Unkonventionell und lustig! Eine Künstlerin holt sich den Preis nicht ab um, die Überraschung aufrecht zu erhalten: Christeene ist wohl die Conchita Wurst der zeitgenössischen alternativen Kunstszene, unkonventionell und unangepasst im positiven Sinn.
Mit „The Christeene Machine“ folgt eine Stunde zwischen Performance und Konzert – Christeene ist eine Kunstfigur, eine böse, gemeine und durch Party und durchzechte Nächte heruntergekommene Drag-Queen aus Austin, Texas. Das Publikum – manchmal leicht verängstigt – war begeistert von dieser Queen of the Night!