Kiss & Fly, Gate 16
REST DER WELT / GRAZ / MANON
28/04/15 Liebe auf den ersten Blick auf dem Flughaften. Hops mit der jungen Dame auf das Gepäckwagerl und ab zum Checkin nach Paris! In Jules Massenets „Manon“ geht es viel ums Reisen, oder wohl eher um um das Bei-sich-Ankommen. Da scheint das Flughafen-Ambiente zuerst einmal gut passend.
Von Reinhard Kriechbaum
Manon hat das Leben nach Ansicht ihrer Familie zu lustig genommen und soll deshalb ins Kloster. Das junge Wesen, das ohne weiteres Cheerleader sein könnte, muss sich im Transit einiger Nachstellungen erwehren, bis endlich der Tenor auftaucht und die Spontan-Liebe ausbricht. Junge Dame vor dem Kloster gerettet! Dann scheint aber Sand ins Getriebe zu kommen, vielleicht streiken die Fluglotsen oder die Piloten spitzen wieder mal auf höhere Gehälter. Die Leute biwakieren jedenfalls vor verwaisten Checkin-Schaltern. In dem Durcheinander haben die Entführer des Des Grieux (sein Vater ist nicht einverstanden mit der Liaison) leichtes Spiel.
Wie löst Regisseur Elmar Goerden, der seine Baseler „Manon“-Inszenierung nun an der Grazer Oper von Barbara Schröder hat einrichten lassen, aber die Klosterszene? Nun ist zwar der frustrierte Des Grieux ein Kloster-Kandidat, scheint aber derzeit noch als Laientheologe ein Praktikum am Flughafen absolvieren zu müssen. Dass es dort nur Nichtraucherkabinen und keinen Andachtsraum geben soll? Wer weiß, im laizistischen Frankreich, wo Manon spielt... Hier geht das Setting jedenfalls nur mit allergrößter Quälerei auf. Und warum sich all die Leute ausgerechnet am Flughafafen schließlich dem Glücksspiel hingeben, leuchtet auch nicht unbedingt ein.
Mit starken Stimmen und nicht un-kräftigem Orchester hält man in Graz der bildkräftigen, aber eben nicht durchgängig plausiblen Szene (und so mancher Allerwelts-Gestik vor allem der Nebendarsteller) entgegen. Die blutjunge Rumänin Julia Maria Dan trifft sehr genau den labilen Tonfall zwischen aufrichtig Liebender, Verführerin und leichtlebigem Mädchen.
Für letzteres bringt sie auch optisch allerbeste Voraussetzungen mit. Sie switcht stimmlich sehr präzis, schmeichelt dem DesGrieux – und man nimmt ihr ehrliche Töne jederzeit ab. Aber eben auch die Schritte anderswohin, die Manon macht, vielleicht mehr aus Neugier denn aus Berechnung. Eine sehr differenzierte Rollengestalterin jedenfalls.
Abdellah Lasri, ein Marokkaner, ist in Graz der DesGrieux: Wie weich er die exponiertesten Höhen meistert! Julia Maria Dan und er geben ein Paar ab, das alle Regie-Schatten vergessen macht und dem auch das gelegentlich übersteuernde Orchester wenig anhaben kann.
Der Grazer Opernchef Dirk Kaftan setzt eher auf die große Geste, bringt schon auch immer wieder die musikhistorischen Patterns (barocke Tanz-Zitate) von Massenets Partitur plastisch heraus, eher weniger aber klangliche Finessen. Das wirkte am Premierenabend alles doch sehr handfest.
Eine Stärke der Grazer Oper ist freilich, dass sie auch personenreiche Stücke in den Nebenrollen durchgängig hauseigen hochrangig besetzen kann: Manuel van Senden ist Schwerenöter Guillot de Morfontaine, Davis McShane ein immer gefährlich lauernder, persönlichkeitsstarker De Brétigny. Wilfried Zelinka als Comte des Grieux liest dem Jungen ohne rohe Töne die Leviten. Ivan Oreščanin als Lescaut schließlich komplettiert das Männerensemble um die dann doch auch zerbrechlich wirkende Manon. Vokal blendend ausgeglichen das Trio Poussette/Javotte/Rosette (Sieglinde Feldhofer, Anna Brull, Xiaoyi Xu).
Viel Zustimmung für die Sänger, vereinzelte Buhrufe für den Dirigenten. Und da der Regisseur ja gar nicht selbst da war bei der Grazer Premiere kaum Reaktionen aufs Szenische.