Drum prüfe, wer sich ewig bindet…
REST DER WELT / STAATSOPER / DON PASQUALE
27/04/15 Nach über 30 Jahren spielt man wieder „Don Pasquale“ in der Staatsoper. Irina Brook gibt ihr Hausdebüt mit einer überdrehten Neuproduktion. Jubel vor allem für Publikumsliebling Juan Diego Flórez und Valentina Naforniţă.
Von Oliver Schneider
Schon die im Wirbel endende Ouvertüre kündigt an, dass der anbrechende Tag nicht ganz so ablaufen wird wie die anderen in den letzten fünfzig Jahren im aus der Mode gekommenen Etablissement von Don Pasquale. Die letzten Gäste älteren Semesters werden von schrulligem Personal noch rasch herauskomplimentiert, bevor der geizige Patron für den Morgenkaffee hereinschlurft, während sich sein Neffe Ernesto zeitgeistig an Coffee to Go hält.
Die Handlung ist bekannt und vor sowie nach Donizetti mehrfach vertont: Ernesto möchte die arme Norina heiraten, während sich der Onkel für ihn eine „gute Partie“ wünscht. Da Ernesto sich widersetzt, will Pasquale sich rächen und selbst heiraten. Sein Freund und Haus-Masseur Malatesta, der gleichzeitig auch Ernestos Intimus ist, schwärmt ihm von seiner angeblich im Kloster erzogenen Schwester Sofronia vor, die niemand anderes als Norina ist. Der Alte ist sofort Feuer und Flamme, als ihm die Scheue mit ihren Zöpfen vorgeführt wird. Bei Irina Brook ist Norina eine mit allen Wassern gewaschene Theaterdiva. Sie mimt problemlos die scheue Jungfrau genauso wie die verschwenderische, kapriziöse Gattin, als die sie sich direkt nach dem fingierten Eheschluss entpuppt.
Schnell durchschaut auch der zunächst düpierte Ernesto, was hier vor sich geht. Und spielt mit, wenn Sofronia den Club erst mal in Pink und im Tigerlook aufmöbeln lässt. Statt müder Kellner wuselt jetzt ein ganzes Heer von Putzpersonal herum (gut der von Martin Schebesta einstudierte Chor). Die Worte „ich will“ sind von nun an Pasquales Xanthippe vorbehalten. Und auch der gelbe Anzug und das Toupet verhelfen ihm nicht zu mehr Jugendlichkeit, um vor der strengen jungen Ehefrau zu bestehen.
Als es dem alten Geizhals endlich zu bunt wird und er Ernesto doch mit Norina verheiraten will, um die beiden ins Haus nehmen und Sofronia so loszuwerden, löst Malatesta den Knoten. Pasquale macht gute Miene zum eigentlich bösen Spiel. Ihn ereilt das gleiche Schicksal wie jenes seiner Vorläufer und Nachfolger in der Oper und im Theater: den Dorfrichter Adam, Bartolo, Ochs und Morosus. Für die Schlussszene verschiebt sich das Personal noch rasch in den Schanigarten mit erleuchteten, kitschig weißen Palmen, Mondschein und – die siebziger Jahre lassen grüßen – Discokugel.
Irina Brook und ihrem Team (Bühne: Noëlle Ginefri-Corbel, Kostüme: Sylvie Martin-Hyszka, Choreographie: Martin Buczko, Licht: Arnaud Jung) ist ein rundherum vergnüglicher, stimmiger und nicht zuletzt repertoiretauglicher Abend gelungen. Für den nach 30 Jahren in die Staatsoper zurückgekehrten „Don Pasquale“ durfte man den „Liebestrank“ ausrangieren, der bei allem Respekt seinen Zenit schon lange überschritten hatte.
Musikalisch mag der Abend keine Sternstunde sein, aber er erfüllt mehr als durchschnittliche Ansprüche. Juan Diego Flórez ist zwar als Ernesto auf dem Papier der Star des Abends, fügt sich aber wie ein Puzzleteil in das kleine Ensemble ein. Bis zum hohen Des saß jeder Ton am Premierenabend. Mit perfekter Fokussierung, nach wie vor beeindruckender, vokaler Geläufigkeit und Geschmeidigkeit begeistert Flórez das Publikum. Wie sehr seine Stimme an lyrischem Schmelz gewonnen hat, erlebt man in seiner Arie zu Beginn des zweiten Akts und in der Serenade im dritten.
Michele Pertusi liegt das Buffofach im Blut. Bei ihm wirkt auch das x-te Herunterfallen des Toupets nicht abgestanden. Und wie er sich um die Zuneigung seiner Sofronia bemüht und ach so blauäugig ins Verderben rennt! Mit seinem Pasquale kann man am Ende nur Mitleid haben.
Alessio Arduini bringt ebenfalls das komödiantische Feuer mit, um als Malatesta gleich einem Don Alfonso das Spiel zu lenken. Mit seinem beweglichen Bariton besticht er mit Bravour im stimmakrobatischen Duett mit Pasquale im dritten Akt. Nur vom Volumen her kommt er zuweilen noch an seine Grenzen. Valentina Naforniţăs Stärke liegt eher in der Mittellage, aber gleichwohl bewältigt sie die Norina bis auf einige Spitzentöne recht souverän. Störend kann allerdings ihr Grundvibrato wirken. Ihre Schwächen kompensiert sie mit ihrem geradezu elektrisierenden Spiel als Sofronia.