Ein Jedermann des Ötztals
REST DER WELT / SÖLDEN / HANNIBAL
20/04/15 Es ist eine eigenwillige, und wie man sieht nachhaltige Verschränkung aus Kultur, Event und touristischen Hintergedanken: Seit fünfzehn Jahren setzt Hubert Lepka in Sölden mit ansehnlichem Aufwand an Menschen und technischen Mitteln Hannibals Alpenüberquerung in Szene.
Schauspieler, Spitzensportler, Piloten, Tänzer und Bergsteiger: ein ganzer Ort war am Freitagabend (18.4.) wieder auf den Beinen, als die Erfolgsproduktion von Sölden, Red Bull und dem Künstlernetzwerk Lawine Torrèn ihr 15-Jahre-Jubiläum feierte. Das Publikumsinteresse ist ungebrochen. 7000 Leute kamen auf den tiefverschneiten frühlingshaften Gletscher und ließen sich von der Energie der 500 Mitwirkenden (300 auf der Bühne, 200 hinter den Kulissen) anstecken: Eine vor Eifersucht rasende Venus stürzte vom Himmel und eröffnete die Szenerie für diese Parabel um Machtstreben, Leadership, Intrigen und Weltpolitik.
Regisseur Hubert Lepka entwarf 2001 für die phantastische Bergwelt des Ötztaler Rettenbach Gletscher die Lebensgeschichte Hannibals in einer zeitgenössischen Choreographie. Abseits des Mainstreams konnte ein Stück Performancekunst heranreifen, das in seiner Art einzigartig ist.
„In einer Welt der Bilder, in der Abenteuer nur noch durch Medien erlebbar sind, ist Hannibal der aberwitzige Versuch, Antike Wirklichkeit werden zu lassen“, so Hubert Lepka. „Es gab eine Zeit, wo vielleicht durch Zufall, vielleicht durch eine Kapriole des Wetters entschieden wurde, ob es unsere abendländische, römische Kultur, oder eine afrikanisch karthagische sei, die unsere Zivilisation formen sollte. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kreisky meinte, wir sollten Geschichte lernen. Am Rettenbach Gletscher spielen wir Geschichte mit allen Sinnen und bei jedem Wetter.“
So unglaublich der Schachzug Hannibals anmutet, mit sechzigtausend Kriegern und 37 Elefanten den Alpenhauptkamm zu überqueren, so atemberaubend ist die Naturkulisse auf 3000 Metern Seehöhe: einmal still, einmal donnernd breitet sich die exakte Inszenierung über den sechs Kubikkilometer umfassenden Bühnenraum aus. Sämtliche Bewegungen von Maschinen und Menschen werden als Handlungschoreographie erzählt. Aus diesem Blickwinkel greifen Base-Jump, Seilbergung am Armeehelikopter, Ballett der Pistenraupen, Dogfight der Flugzeuge, der Lawinenabgang, die Seilbahn, eine Hundertschaft Skilehrer und die Gruppe von 12 Tänzern exakt ineinander. Synchronisiert wird in diesem großen Raum über Funk, denn nicht alle Akteure können durch akustische und visuelle Signale erreicht werden. 300 Mitwirkende, die gemeinsam mit bislang ungesehenem Lichtdesign, einer emotional erzählenden Musikkomposition, Breaking News von Karthago-TV und szenischer Pyrotechnik die antike Geschichte neu erstehen lässt.
„Dieses Projekt ist längst zu einem Role Model für aktuelles, touristisches Kunstschaffen geworden“, sagt Jack Falkner vom Organisationskomitee. „Ein Jedermann des Ötztals.“ In zwei Jahren steht die nächste Hannibal-Überquerung auf dem Programm. (Lawine Torren)