Von der Macht des Geldes
REST DER WELT / BREGENZ / DER KAUFMANN VON VENEDIG
19/07/13 Mit André Tchaikowskys „Der Kaufmann von Venedig“ setzt David Pountney die Reihe der Erst- und Uraufführungen bei den Bregenzer Festspielen fort. Die posthume Uraufführung lässt uns ein lohnendes Werk entdecken.
Von Oliver Schneider
Der 1982 in England verstorbene André Tchaikowsky ist Musikinteressierten heute vielleicht noch als herausragender, aber menschlich schwieriger Pianist ein Begriff. So „bestrafte“ er zum Beispiel Konzertbesucher in Spanien dafür, dass sie ihm zu wenige Ovationen entgegenbrachten, und spielte die kompletten „Goldberg-Variationen“ als Zugabe. Er gefiel sich darin, Menschen, die ihn unterstützen, zu beleidigen und mit musikalischen Partnern auf Konfrontationskurs zu gehen.
Weniger bekannt ist Tchaikowsky als Komponist, was sicherlich auch mit seinem schmalen Werkkatalog zusammenhängt – zwei Klavierkonzerte, ein wenig Kammermusik und die Oper „Der Kaufmann als Venedig“ als seinem Hauptwerk. Deren Uraufführung hat der Komponist nicht mehr erlebt; sie fand am Donnerstag (18.7.) bei den Bregenzer Festspielen im Festspielhaus statt.
Der 1935 in Warschau unter dem Namen Robert Andrzej Krauthammer geborene Komponist jüdischer Religion konnte 1942 aus dem Warschauer Ghetto entfliehen, indem seine Großmutter ihn als Mädchen verkleidete und herausschmuggelte.
Die Vertonung von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ muss man deshalb auch vor diesem biographischen Hintergrund betrachten. Genau wie Mieczyslaw Weinbergs „Die Passagierin“, die in Bregenz vor drei Jahren szenisch uraufgeführt wurde. Tchaikowsky bat John O’Brien, die Shakespearschen Komödie, die vor allem in der NS-Zeit für die antisemitische Hetze missbraucht wurde, in ein Musiktheater-taugliches Libretto zu verwandeln. Wenigstens O’Brien durfte dafür gestern Abend den späten Applaus des Bregenzer Publikums für seinen Beitrag entgegennehmen. Die Aufführung der Bregenzer Festspiele ist eine Koproduktion mit dem Adam Mickiewicz Institut und dem Teatr Wielki, Warschau.
Keith Warner besorgte die Inszenierung, der zuletzt in Österreich Hindemiths „Mathis der Maler“ am Theater an der Wien inszenierte. Warner verlegt die Geschehnisse in Venedig und Belmont aus der Renaissance-Zeit in die Jahre der vorletzten Jahrhundertwende, was die Kostüme andeuten. In die Zeit, in welcher der Antisemitismus die europäische Gesellschaft immer stärker zu durchdringen beginnt. Für die verschiedenen Handlungsorte genügen verschiebbare klassizistische Wände, Möbelstücke und Lampen, was rasche Szenenwechsel in den drei durchkomponierten Akten ermöglicht (Ausstattung: Ashley Martin-Davis). Dafür lässt Warner seinen Protagonisten umso mehr Raum zum Agieren.
Bassanio möchte um die attraktive Portia werben, benötigt für die Reise von Venedig nach Belmont aber das nötige Kleingeld. Er fragt seinen Freund, den Kaufmann Antonio, der aber sein Geld angelegt hat. Da Antonio aber für Bassanio tiefere Gefühle hegt, geht er zum jüdischen Geldverleiher Shylock und bittet ihn um ein Darlehen. Was dieser trotz Abneigung gegen ihn gewährt. Sollte er aber die Schuld nicht innerhalb von drei Monaten tilgen, so muss er mit einem Pfund seines eigenen Fleisches zahlen. Dank Portias genauer Vertragslektüre kommt es zum Glück nicht soweit, als Antonio nach drei Monaten zahlungsunfähig ist. In einem (zu) ausgedehnten Epilog finden schließlich auch die weiteren (Liebes-)Handlungen zu Happy Ends mit drei glücklichen Paaren.
Warner und die Protagonisten erzählen von der Macht des Geldes, dem blinden Verharren in einer festgefahrenen Position in nachvollziehbaren, leicht dechiffrierbaren Bildern. Gelungen ist vor allem der zweite Akt in Belmont, einer Oase der Ruhe und des Friedens im Vergleich zum von Geld- und Handelsgeschäften beherrschten Venedig im ersten Akt. Hier ein grüner Irrgarten, der mit Videotechnik auch an die Bühnenrückwand projiziert wird, dort die eng nebeneinander stehenden Schreibpulte im Kontor.
Die zeitliche Verortung der Handlung um die vorletzte Jahrhundertwende steht auch im Einklang mit den kompositorischen Einflüssen, unter denen Tchaikowsky sein Werk komponierte: der Spätromantik, Wiener Schule, von Benjamin Britten und Alexander Zemlinsky. In den Gesangsstimmen überwiegt ein deklamierender Stil, dazwischen finden sich auch traditionelle Formen wie Duette zwischen den Liebespaaren. Richard Wagner wird zitiert, wenn die als Anwalt und Gehilfe verkleideten Portia und ihre Vertraute Nerissa die Eheringe ihrer Angetrauten am Ende der Gerichtsverhandlung im dritten Akt verlangen – Bassanio und Gratiano – und ein zweites Mal, wenn sich das Verkleidungsspiel à la „Così fan tutte“ auflöst.
In Erik Nielsen findet die Musik des polnisch-britischen Komponisten einen guten Sachwalter, dem die Wiener Symphoniker in guter Form und sicher in allen Stimmen folgen. Eindrücklich gelingt das Zwischenspiel vor dem Epilog, das durch harte Dissonanzen wie ein schmerzerfülltes Klagen des an seiner Härte gebrochenen Shylock erscheint. Mühelos trotz zum Teil hoher Tessitura gesungen und im besten Sinne des Wortes gespielt wird Shylock von Adrian Eröd. Wenn Shylock auf der Bühne steht, haucht Eröd ihm so viel Leben ein, dass man sich voll und ganz auf ihn konzentriert. In stimmlich ebenbürtigem Masse, wenn auch mit weniger Präsenz überzeugen Charles Workman als Bassanio, der vom Rollentyp an die gebrochenen Britten-Tenor-Verlierertypen erinnert, und Christopher Ainslie mit tragendem Countertenor als Antonio. Auch der Rest des Ensembles ist sorgfältig ausgewählt. Die kleine Chorpartie ist beim Prager Philharmonischen Chor in guten Kehlen (Einstudierung: Lukáš Vasilek).
„Der Kaufmann von Venedig“ ist eine lohnenswerte Bereicherung für die Opernspielpläne und eine gelungene Festspielproduktion, die auch gewisse werkimmanente Längen vergessen lässt.
Weitere Vorstellungen am 21. und 28. Juli - www.bregenzerfestspiele.com
Bilder: Bregenzer festspiele / Karl Forster