Früchte inniger Vertrautheit
REST DER WELT / STYRIARTE / NIKOLAUS HARNONCOURT
19/07/13 Es hat Logik, wenn Nikolaus Harnoncourt heute Freitag (19.7.) mit Haydns „Schöpfung“ die „Ouverture spirituelle“ der Salzburger Festspiele eröffnet. Kaum ein Dirigent hat sich mit solcher Konsequenz dem geistlichen Werk Joseph Haydns genähert, seine musikalische Rhetorik verinnerlicht.
Von Reinhard Kriechbaum
Davon kann man sich Jahr um Jahr auch bei der „Styriarte“ überzeugen. Haydn in Stainz: Das ist seit einem Vierteljahrhundert eine Art Markenzeichen. Ziel musikalischer Pilgerreisen, wenn man so sagen will. Am Ende steht sehr oft so etwas wie eine Offenbarung.
Für den Concentus Musicus und den Arnold Schönberg Chor, Wegbegleiter seit je her, sind diese Haydn-Exegesen einerseits Routine im Sinn inniger Vertrautheit mit Harnoncourt und seinen gestalterischen Ideen, andrerseits immer wieder neue Herausforderung. Für die Nelsonmesse heuer etwa hat Harnoncourt wieder einmal nach Noten gegraben: Haydn hat bei der Uraufführung auf Holzbläser verzichten müssen, weil der Fürst Esterházy 1798 seine Harmoniemusik in die Wüste geschickt hatte, aus wirtschaftlichen Gründen. Ein Nachfolger Haydns als Esterházy’scher Kapellmeister, Johann Nepomuk Fuchs, hat später Holzbläser- und Hornstimmen nach Haydns Orgelstimme gesetzt – und diese Fassung sei, so Harnoncourts Überzeugung, „wesentlich geschmackvoller“ als jene in der Druckfassung bei Breitkopf und Härtel.
Jedenfalls eine ganze Reihe von Bläser-Auffälligkeiten in diesem Werk, das ja die grandiosesten musikdramatischen Möglichkeiten aller Messkompositionen Haydns bereit hält. Harnoncourt hat der Messe eine frühe Sturm- und Drang-Symphonie Haydns vorangesetzt weniger überzeugend, weil der direkte Vergleich doch eher gegen das Werk mit dem Titel „Lamentatione“ ausgeht. Umso erhellender dafür ein Chor-Orchesterwerk, mit dem sich Haydn in London als Oratorienkomponist eingeführt hatte: Als „Madrigal“ bezeichnete Haydn „The Storm“, in dem er alle Register der Naturdeskription zog (er hatte tolle Ideen drauf!) und mit einem ruhigen Abgesang in idyllisierendem Sechsachteltakt kombinierte. So effektvoll wie Haydn spielte damals keiner auf der musikalischen Medienorgel.
Eine Woche später dann im Grazer Stephaniensaal, wiederum mit dem Concentus Musicus und dem Schönberg-Chor, ein gustiöses Lanner/Schubert-Programm.
Was mag Schubert an Lanners Musik angesprochen haben (die beiden Komponisten waren befreundet)? Harnoncourts Akkuratesse in den Tempi (auch eine Polka kommt da nicht außer Atem) sichert die Durchhörbarkeit. Der karikaturhafte Witz zwischen Piccoloflöten, schwerem Blech in der Hans-Jörgel-Polka, das charismatische Trompetensolo in der Cerrito-Polka: Lauter kleine und große Überraschungen. Fein die langsame Einleitung zur „Sehnsuchts-Mazur“ mit Geigensolo auf der G-Saite. Und im Jagdgalopp lässt Harnoncourt das Publikum ordentlich reinsausen und fordert verfrühten Applaus in eine Generalpause hinein bewusst heraus.
Danach Ernsthafteres, Schuberts „Rosamunde“-Musik, natürlich in der Komplett-Version mit Zwischenakt- und Ballettmusiken sowie den Chorsätzen und der Romanze „Axas Lied“ mit Bernarda Fink als Luxusbesetzung. Alles sehr beredt – aber auch ein wenig schulmeisterlich, wenn Harnoncourt selbst mit allzu viel Ernst durch die Handlung führt. Ironie gegenüber der bildungsbürgerlichen Tradition ist Harnoncourts Sache nie gewesen.