Jungphilosophen auf der Baustelle des Lebens
REST DER WELT / LINZ / ALPENVORLAND
26/04/13 „Die Basis ist die Mittelschicht“, sagt einer der Dreißigjährigen, „davon hängt alles ab. Vor allem bei Cremetorten.“ Irgendwie gehören sie ja alle dieser ominösen Mittelschicht an, die Protagonisten des in Linz, in den Kammerspielen des Landestheaters, uraufgeführten Stücks „Alpenvorland“ von Thomas Arzt.Von Reinhard Kriechbaum
Hannes und Heidi haben Freunde eingeladen, auf die Baustelle, wo irgendwann ein schmuckes Einfamilienhaus entstehen wird als endgültiges Zeichen der Verortung und des eigenen Platzes, den die beiden im Leben gefunden haben. Aber derweil ist dort nur ein Aushub. Ein großes Loch. Hannes, der Gastgeber, ist vor allem mit Erdeschaufeln beschäftigt. Und mit sich selbst.
Aber das sind sie ja alle, auf diesem Flecken Erde, den sie Heimat nennen und wortreich hasslieben. Hasse die Provinz wie dich selbst, denn „Provinz ist dort, wo die Welt sich verlaufen hat.“ Sie haben sich alle verlaufen: Hannes, Heidi, Sopherl, Moritz, Vroni, Bimbo und Alf. Die persönlichen Verstrickungen der Dreißigjährigen gäben einige Folgen für eine Soap Opera her, aber das ist nicht das Thema. In Wirklichkeit trägt jeder seine individuelle Soap Opera im Herzen.
Der Oberösterreicher Thomas Arzt, der für „Alpenvorland“ im Vorjahr den Autorenpreis beim Heidelberger Stückemarkt bekommen hat, ist genauso alt wie die Protagonisten hier. Ein interessantes Alter, weil da zum ersten Mal das Uneinlösbare in den Lebensentwürfen ungeschönt zutage tritt. Erwartungen sind noch nicht begraben, aber haben Stauchungen und Risse. Das Leben ist nur scheinbar auf Schiene. „Lebensplanung“ wird als ein zu euphemistisches Wort entlarvt.
Da wird also heftig Standort bestimmt. Am Perspektive-Fernrohr justiert. Zugleich über die ersten Wegstrecken reflektiert. Irgendwie sind da lauter Jungphilosophen auf der Baustelle des Lebens unterwegs. „Ich bin jetzt von Gehalt“, sagt Moritz, weil er endlich eben dem Prekariat entschlüpft ist und das erste Monatssalär auf dem Konto hat. „Ich importiere die Freiheit in Bierdosen“, trompetet Bimbo, für den die Spritztour über die nahe Grenze nach Tschechien schon der Gipfel an Welthaltigkeit ist. Und ausgerechnet er spintisiert von Kanada! Vroni, schwanger von einem ungewissen Techtelmechtel, „liegt nicht das Sakrale, als säkularer Mensch“. Wertediskussion muss natürlich auch sein, und sei’s das Reflektieren über die Arbeit der Frau „in einer Schwanz-Welt“. Nicht nur Hannes, der künftige Eigenheim-Idyllenbesitzer, will seinem „Leben einen Grund geben“. Eigenen Grund und Boden erwerben, um der seelischen Bodenlosigkeit vorbeugen?
Die Szenenfolgen – in einer österreichischen Traditionslinie mit Ödön von Horváth (Geschichten aus dem Wiener Wald) oder Franz Molnár (Liliom) – werden von Monologen aufgebrochen. Da steigen die Protagonisten gleichsam aus dem Stück aus und heben zur großen (oder kleineren) Selbstreflexion an. Sie sagen dann gescheite Dinge wie „Dort, wo Menschen sind, sind Katastrophen“, oder „Daheim kommen die Katastrophen immer verlässlich“. Tiefere Lebensabschnitts-Erkenntnis vergangenen und künftigen Dahinwurstelns: „Im Zwischenzeitlichen lebt sich’s durchaus langfristig.“
Das dritte Stilmittel ist der Chor. Immer wieder tut sich das Ensemble zusammen und schleudert Paraphrasen von Liedern ins Publikum, mit archaischer Kraft. Da tun sich Thomas Bernhard’sche Abgründe auf. Ach ja, Thomas Arzt war ja auch Bernhard-Stipendiat des Linzer Landestheaters. So ist er als Dramaturg und Autor dorthin gekommen, wo „Alpenvorland“ nun uraufgeführt und bejubelt wurde. Die Chöre sind massiv wort-gedrechselte Anklagen an Land und Leben. Heimatgefühlsduselei kommt gewiss nicht auf.
Ein insgesamt lohnender Text, der den Theatermachern in die Hände spielt. Regisseur Ingo Putz geht die Sache unprätentiös an, belässt den Ton unprätentiös leise. Keine Schablonen, sondern viel Natürlichkeit im Ensemble. Das ist nicht selbstverständlich bei einem so sprach- und gedankenbastelnden Autor. „Am Ende sind wir nur Landeier. “ Der Konter lässt nicht auf sich warten: „Landeier sind wenigstens bio.“ Galgenhumor im Alpenvorland.