Die Netrebko als Tatjana
REST DER WELT / WIEN / EUGEN ONEGIN
17/04/13 Mit einem exklusiven Rollendebüt in einer Repertoireserie der Oper „Eugen Onegin“ von P.I. Tschaikowsky wartet die Wiener Staatsoper derzeit auf: Anna Netrebko singt ihre erste Tatjana.
Von Andreas Vogl
Sie habe lange gewartet mit dieser Highlight-Partie des russischen Repertoires, erzählte sie in einem Zeitungsinterview und sich bewusst für das erste Mal nicht in einer Neuproduktion entschieden. Die wird im Herbst dann an der Metropolitan Opera kommen - ähnlich wie bei „Anna Bolena“, wo auch die Wiener Oper von Anna Netrebko das „ius primae noctis“ bekam.
Dafür hat sie in Wien jetzt ein musikalisches Umfeld, welches es ihr erlaubt, die Tatjana bestmöglich musikalisch umzusetzen und sich voll auf die Reifung des Charakters aus dem Stück heraus zu konzentrieren. Fast nur russische Kolleginnen und Kollegen stehen auf der Bühne. DrehPunktKultur besuchte die Aufführung am 15.4. – eine musikalische Sternstunde.
Allen voran lieferte das Wiener Staatsopernorchester unter der Leitung von Andris Nelsons eine Glanzleistung ab. In den symphonischen Passagen prägnant zupackend (Polonaise im dritten Akt), als Sängerbegleiter zu feinsten Nuancen und Abstimmungen bereit (Matthias Schorn, Klarinette!) vollzog sich ein klangliches Wunder im Orchestergraben.
Am besten merkte man diese Konzentration und Liebe zum Detail in den großen Soloarien. Die Briefszene Tatjanas im ersten Akt war ein wunderschöner herausgehobener Moment. Netrebkos Stimme strahlt wie immer in der Höhe, in der Mittellage jedoch ist sie satter geworden. Und genau diesen Stimmtyp braucht diese Arie, was erklärt, warum die Sopranistin erst jetzt mit über 40 und mit entwickeltem Timbre die Rolle anging.
Aber noch etwas macht sie momentan als Tatjana einzigartig. Die Wandlung vom jungen naiven Mädchen zur Fürstengattin kann sie auch schauspielerisch als ganz persönlich durchdachte Figur unabhängig von der Regie (Falk Richters unpoetische und oft hässliche Inszenierung aus dem Jahr 2009 sei hier nur am Rande erwähnt) umsetzen. Während sie im ersten Akt das Liebesgeständnis mit kindischem Tänzeln und voll jugendlicher Extase zu Papier bringt, hat die würdevoll stoische Ruhe, mit der sie Onegin als Gattin des Fürsten Gremin in der Schlussszene einen Korb gibt, etwas von einer gereiften Frau, die aus Vernunft handelt. Man darf auf Netrebkos weitere Rollen gespannt sein: nach „Giovanna d‘Arco“ von Verdi stehen demnächst die Lady Macbeth und die Marguerite in Gounods „Faust“ an.
Als zweiter Publikumsliebling des Abends entpuppte sich Dmitry Korchak, der Sänger des Lenski. Er hat das, was man einen russischen lyrischen Tenor nennen kann, ist vom Timbre eher leicht und findet zarte schwebende Piani, setzt sich in der Forderung zum Duell und am Schluss der Festszene aber auch mit schön gesetzten dramatischen Ausbrüchen durch. Seine Arie „Kuda, Kuda“ wurde zum meisterlichen Kabinettstück und mit viel Applaus bedacht. Konstantin Gorny als Fürst Gremin ist ein relativ junger Bass mit schlanker Stimme. Auch in seiner großen Arie verschmolzen Orchester und Gesang zu einer berührenden Einheit.
Auftrittsapplaus bekam Dmitri Hvorostovsky als Eugen Onegin. Sein Stil ist gekennzeichnet von Wohlklang und lang gehaltenen Tönen. Er geht routinierter an die Partie des unglücklichen Dandy heran, schauspielerisch nimmt man ihm da die Rolle nicht durchwegs ab. Dafür ist auch er ein musikalisches Highlight der bis in die kleinen Partien bestens besetzten Aufführung. Alisa Kolosova als Tatjanas Schwester Olga, Zoryana Kushpler als Mutter Larina, Aura Twarowaska als Nanja und Norbert Ernst als Triquet mit seinem französischen Couplet beweisen, dass die Wiener Staatsoper eine Repertoirevorstellung mit durchwegs hochwertigen Kräften besetzen kann.