Ein Wochenende rund um den Wockenturm
GRAFENEGG / MUSIKFESTIVAL (I)
04/09/12 Es gibt einige Überschneidungen mit den Salzburger Festspielen, was die Gastorchester betrifft. Doch meistens kommen die Orchester, die von Salzburg nach Niederösterreich weiterreisen, mit abgeänderten Programmen. So gesehen ist das Musikfestival Grafenegg keine Wiederholung.
Von Wolfgang Stern
Wenn das Wetter mitspielt, dann sorgen die Konzerte beim Wolkenturm im Park für ein außergewöhnliches und einmaliges Ambiente. Das wissen inzwischen nicht nur die Besucher, sondern auch die Orchester und Solisten, die bereits in Grafenegg aufgetreten sind und gerne wieder kommen. Und ist einmal Schlechtwetter angesagt, dann ist das Auditorium ein großartiger Ersatzspielort.
Das London Philharmonic Orchestra konnte diese Atmosphäre im Freien kurz vor Vollmond genießen und sorgte mit zwei Romantikern für Hörenswertes. Einerseits war es Dvo?áks Cellokonzert h-moll, in dem Vladimir Jurowski (seit 2007 Chef des Orchesters) mit viel Gefühl an die Sache ging und dem norwegischen Solisten Truls Mørk großen Freiraum zuließ. Mit sparsamster Zeichengebung und einem sensiblem Dirigat vermittelte der Jungstar Ruhe und Zeit zum Gestalten, was besonders im zweiten Satz auffiel. Im Dreieck Dirigent–Konzertmeister–Solist spielte sich die so oft gewünschte Partnerschaft ab, die sich auf das gesamte Orchester positiv übertrug. Im etwas verhaltenen Spiel bewies Mørk, Tschaikowsky- Wettbewerbssieger 1982, Routine, ohne dabei auf Spannung zu vergessen.
Tschaikowskis „Fünfte“ war dann eine kontinuierliche Fortsetzung eines engagiert musizierenden Orchesters. Jurowski agiert erdbezogen und schwebt nicht in den Wolken. Agogisch mutig und reizvoll gelangen die Wiedergaben der langsamen Teile.
Von Haus aus im Auditorium geplant war der Liederabend des erstmals in Grafenegg auftretenden Thomas Hampson, der auch hier (wie in Salzburg) Schumanns Liederkreis gab, aber mit Liedern seines Landsmannes Samuel Barber auf bei uns selten zu Hörendes zurückgriff. 12 Lieder aus allen Perioden des 1981 verstorbenen Komponisten weckten das Interesse. Es zeigte sich, dass Text und Musik besonders eng miteinander verbunden sind. Es sind musikalische Stimmungsbilder, die Thomas Hampson vermittelte. Sein Bariton berührt und zeichnet sich nach wie vor durch eine warme Tongebung aus. Lieder wie „Night wanderers“, „In the wilderness“, „Solitary Hotel“ oder „Sleep now“ sind geradezu maßgeschneidert für einen Sänger, den man in letzter Zeit in Österreich eher vermisste. Im Einklang mit Wolfram Rieger am Flügel – bedächtig und auf jeden einzelnen Ton konzentriert – ein Liederabend, der in Erinnerung bleibt.
Am Wochenende folgten zwei weitere Orchesterkonzerte. Dabei mischte das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich ordentlich mit. Die Grieg´sche Bühnenmusik zu Henrik Ibsens „Peer Gynt“, eingebunden in eine dramatisierte Textfassung von Franzobel (erstmals 2004 vom Tonkünstler-Orchester aufgeführt) wurde zur eigentlichen Überraschung der bisherigen Konzertserie. Michael Schønwandt führte mit viel Liebe zum Detail das Orchester an, das in letzter Zeit sehr entschieden an der Qualitätsentwicklung arbeitete. Sozusagen als Hausklangkörper hat man schließlich zwischen den großen internationalen Orchestern zu bestehen. Man geht mit Geschlossenheit zur Sache. Nicht minder homogen und souverän agierte der Wiener Singverein (Leitung Johannes Prinz) und ein Staraufgebot an skandinavischen Solisten (Miah Persson, Sopran, Anna Larsson, Alt, Morten Frank Larsen, Bariton). Kaum eine bessere Besetzung als mit Nicholas Ofczarek wäre für die herausfordernde Sprecherrolle denkbar gewesen. Lebendig, pointiert, geradezu dramatisch, gestaltete der Salzburger Ex-Jedermann seine Aufgabe, die mitreißenden Texte – oft in Form von Sprachbildern – in eine quasi musikalisierende Sprache umzusetzen. Ofczarek fühlte sich sichtlich im grotesken Humor wohl.
Als Prélude war da noch die geglückte Einstimmung zum Abendkonzert mit Liedern von Edward Grieg und dem bei uns eher unbekannteren Ture Rangström in einer wunderbaren Ausführung der schon erwähnten Solisten. Man könnte sich wünschen, Nordischem in dieser Form öfter zu begegnen. Die Reithalle platzte bei der Einführung zum Hauptkonzert aus allen Nähten.
Nach seinen zwei Salzburg-Konzerten kam auch das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst nach Grafenegg. Der Bruckner-Schwerpunkt wurde mit einer Wiedergabe der „Romantischen“ fortgesetzt. Einen Tag vor dem Rückflug in die USA präsentierte sich der Klangkörper überaus kompetent. Großartiges Blech, besonders den Hörnern gelang eine Sternstunde. Welser-Möst schöpfte im Wolkenturm die gesamte dynamische Skala aus. Besonders schön gelang – wieder einmal – der zweite Satz, die dynamischen Steigerungen zeugten von der Qualität des Orchesters.