Mit Slapstick um Geld und Ehre
GRAZ / MINNA VON BARNHELM
12/11/24 Ist Lessing der heimliche Erfinder der Screwball Comedy? Auf die Idee könnte man kommen im Grazer Schauspielhaus, wo Ulrike Arnold Minna von Barnhelm als eine rasante Tür-auf-Tür-zu-Komödie schnurren lässt und mit fulminantem Slapstick aufheizt.
Von Reinhard Kriechbaum
Dreieinhalb, vielleicht knapp vier Meter. So schmal kann eine Bühne sein, eng eben wie die Zimmer in einer Absteige, die es nur auf wenige Sterne bringen würde. Zimmer und Nebenräume wechseln ständig, denn Ulrike Arnold und ihre Bühnenbildnerin Franziska Bornkamm haben es drauf angelegt, jede Szene, wirklich jede Szene, in einem eigenen Raum spielen zu lassen. Diese Szenen, wie Lessing sie nummeriert, sind ja oft nur ein paar Sätze lang. So fahren die karg eingerichteten pastellfarbenen Guckkästen beständig an uns vorbei und wir können uns gut hineindenken in dieses Etablissement und in die Befindlichkeiten seiner Bewohner. Der in standesdünkelndem Trüb- und Starrsinn gefangene Major Tellheim gedenkt es demnächst zu verlassen, dafür durchwirbeln es Minna und ihre „Bediente“ Franziska mit umso frischerer, fast bedrohlicher Energie.
Als eines ihrer Anliegen hat die Grazer Intendantin Andrea Vilter im Vorjahr bei Amtsantritt genannt, den klassischen Kanon zu überprüfen. Minna von Barnhelm ist derzeit nicht gerade Liebkind auf den Bühnen, wiewohl neben Beaumarchais' Figaro-Stücken die Paradekomödie der Aufklärung. Aber Beaumarchais ist ja vor allem ob der Musik-Veredelung durch Mozart und Rossini präsent. Also die Frage: Geht Minna von Barnhelm überhaupt noch?
Ja, und wie! Ein „weißer Mann“ mit ultrakonservativem Denken trifft auf eine ihm intellektuell weit überlegene, handlungsaktive, denkoffene Frau. Aber auch sie muss zuletzt Abstriche machen wenn's ans Eingemachte geht, an die Option für ein Leben zu zweit. Dieses ist Aushandlungssache, im günstigen Fall vor der Hochzeit. So ein Stoff verjährt nicht, gehört nur aufgepeppt. Und das gelingt hier geradezu fulminant, mit Intellekt, Stil und ungebremster Mitteilungsfreude.
Gleich ein Eyecatcher zur Eröffnung. Der Wirt ist zu einer Wirtin geworden, der Diener Just macht sich über sie her. Der Raufhandel ist zu einer bizarren, mehrmals wiederholten Bettszene mit ungewissem Ausgang geworden. Das gibt schon mal einen Rahmen vor: Hier werden in den nächsten zwei Stunden Emotionen ausgereizt, Gefühle ausgehebelt und Grenzen ertastet. Jeder Dialog wird zugespitzt, eingeseift mit unerwartetem Slapstick. So wird manch papierene Formulierung aus der Sprache des 18. Jahrhunderts ultra-geschmeidig, mit Raffung, aber wenig Eingriffen in den Text.
Da steht also Tellheim (Sebastian Schindegger), bärtig, trübsinnigen Blickes, Hand in der Schlinge. Die verkörperte Welt von gestern. Die Kumpanen Just (Thomas Kramer) und Paul Werner (Simon Kirsch) sind Haudegen, ebenfalls aus der Mode gekommen. Aber immerhin handlungswillig und -bereit. Gerade der Wachtmeister Werner wird mit seinem „Frauenzimmerchen“ Franziska wohl die Kurve in eine neue Zeit kratzen. Auch wenn sie (wenigstens gemeinsam) ausrutschen auf dem frisch gewischten Boden. Was für ein anschauliches Bild für eine neue, noch ungewisse Ära. Präzise Charaktere sind da angelegt, die irgendwie undogmatisch reagieren – genau das macht sie liebenswert.
Anke Stedingk ist Minna. Ein nur scheinbar doofes Dummerchen, das jungmädchenhaft für den Mann schwärmt, den sie ja eigentlich kaum kennt. Mit Vollgas wird sie ihm immer wieder klar zu machen versuchen, dass das Leben anders spielt als es soldatische Konventionen vorsehen. Ihre Bemühungen gehen freilich oft rührend ins Leere, was Franziska, mehr selbstbewusste Freundin und Lebensbegleiterin als „Bediente“, oft mit ungläubigen Blicken kommentiert. Sarah Sophia Meyer wirkt in dieser Rolle oft wie der Nukleus der Aufführung. So starke mimische Kommentare, ohne wirklich das Gesicht zu verziehen...
Die Personnage ist auf sechs Leute reduziert. Die Minna-Darstellerin schlüpft auch in die Rolle der Witwe Marloff und Tellheim gibt auch den Spieler Riccaut, der einen umwerfend derb-komischen Auftritt im Zimmer der Frauen hinlegt. Derartige Bizarrerien geben der Inszenierung Pfiff und Stil. Ebenso originelle Orte wie dampfende Bügelkammer, Fitnessraum oder Gang mit Lifttür.
Für burleske Einlagen sorgt die Wirtin (Annette Holzmann), und sei's auch nur, wenn sie mit dem Staubsauger durch die Szene geistert. Einmal verwandelt sie sich ins personifizierte Ehrgefühl des Majors von Tellheim. Er und Minna diskutieren vor dem Doppelbett ihre Beziehung – und im Bett liegt dieser allegorische Kerl mit Dreispitz...
Immer wieder ist es verblüffend, wie die Regisseurin mit scheinbar banalsten Ideen Wirkung macht und die Sache doch nicht platt wirkt. Die finalen Auseinandersetzungen, Missverständnisse und Irrtümer: Da rasen die Räume schier vorbei, die Protagonisten müssen sehen, wie sie von einem Guckkasten in den nächsten kommen. Aus der Wirtin ist jetzt ein großes Plüsch-Herz auf Beinen geworden. Aufschrift: „Happy End“. Aber dieses Herz wird immer wieder auf die Seite geschupst. So schnell geht’s ja dann doch nicht mit der Versöhnung, die bekanntermaßen erst nach beidseitiger Läuterung gelingt. Erst einmal durchatmen. Franziska bekommt nicht nur ihren Wachmann, sondern auch nette, unprätentiöse Schlussworte, die Lessing nicht vorgesehen hat.