Des Mordes und der Liebe Wellen
OPER GRAZ / SCHLAFLOS (SLEEPLESS)
23/01/24 Hochschwangere junge Frau. Kein Platz zum Ausruhen. Kein Platz zum Gebären. Zimmer belegt... Es klingt wie nach einer Neuinszenierung des Adventsingens und ist auch genau so zeitlos wie die biblische „Herbergsuche“. Doch von Mord und Gewalt aus Verzweiflung weiß die Weihnachtsgesichte nichts. – Anders als die Opernballade Schlaflos (Sleepless) von Peter Eötvös.
Von Heidemarie Klabacher
Wie der Josef in der Weihnachtsgeschichte ist auch der junge Bursche Asle kein Gewalttäter. Ganz im Gegenteil. Seine Fürsorge gilt der hochschwangeren Freundin Alida. Die Morde „passieren“. An dem Bootshausbesitzer, der sie verjagt, an der abweisenden Mutter der schwangeren Freundin und an einer gehässigen alten Frau – sind die scheinbar einzige Möglichkeit für Asle, seiner Freundin Alida wenigstens für ein paar Momente Ruhe zu verschaffen.
Die Opernballade Sleepless (Schlaflos) des ungarischen Komponisten Peter Eötvös wurde 2021 in Berlin uraufgeführt. Das Werk basiert auf dem Libretto von Mari Mezei nach dem Roman Trilogie des norwegischen Nobelpreisträgers Jon Fosse.
Die Oper Graz bringt dieser Tage die erst zweite Produktion des Werks – im Triumph – auf die Bühne und hat dafür bei Errico Fresis eine deutsche Textfassung in Auftrag gegeben. Der ein wenig nordisch-mythisch angehauchte Text, mit leitmotiver Beschwörung glitzernder Fjorde und springender Lachse, bekommt auf Deutsch einen märchenhaft-wagnerischen Touch.
Regisseur Philipp M. Krenn und die Ausstatterinnen Heike Vollmer und Regine Standfuss verorten die Geschichte in den 1980er-Jahren am Bahnhof Zoo Berlin, in einer in die Kostümdetails hinein anschaulich wieder-erweckten Welt der Drogensüchtigen Christiane F.
Dieser Unort ist der Ausgangspunkt für die imaginär bleibende Flucht der Liebenden in eine bessere Welt. Die Sehnsucht Alidas nach „dem Haus der Mutter an dem Hang“ führt zu einer Plakatwand, hinter der sich die kleinbürgerliche Behausung der adretten Mama befindet. „Die Mutter sang niemals für mich.“ Ob Bahnhof der 1980er oder Riesen-Lachs auf der Bühne, wie bei der Uraufführung, Schlaflos ist brennend aktuell. Wobei Text und Musik jeder simplifizierenden Aktualisierung diametral entgegenstehen.
Das Grazer Philharmonische Orchester brilliert unter der Leitung seines Chefdirigenten Vassilis Christopoulos mit den in betörender Ruhe schillernden Klangflächen wie mit den beängstigend pulsierenden dramatischen Momenten. Die Sopranistin Tetiana Miyus als Alida und der Tenor Mario Lerchenberger als Asle sind zwei wunderbare Sänger-Darsteller von deren Text man jedes Wort versteht.
Daeho Kim brilliert als der undurchschaubare Asleik,der nach der Ermordung Asles das Mädchen bei sich aufnimmt. Sechs Vokalistinnen, als Doppel-Terzett in den Proszeniumslogen postiert, bescheren als Alidas innere Stimme Momente höchster Vokalkultur. Ein Gutteil davon sind Bilder aus dem Drogen-Rausch betörend und beängstigend anschaulich gemacht in den Videprojektionen von Thomas Achitz.
Überzeugend, stimmlich wie darstellerisch, sind auch die Sängerinnen und Sänger der kleineren Partien, Mareike Jankowski als Mutter Alidas, Anna Brull als Hebamme, Felix Heuser als Gastwirt, Martin Fournier als betulicher Juwelier und ganz besonders Iris Vermillion als beängstigende Alte Frau und Tetiana Zhuravel als die quirlige-lüsternes Mädchen, das vergeblich versucht, Asle zu verführen. Alidas Schlussmonolog als alte Frau am Meer, die an ihre unvergessene erste Liebe denkt und dieser Liebe bald in die Wellen folgen wird, rührt zu Tränen und ist zugleich völlig unsentimental in Wort und Ton. Ein Meisterwerk meisterlich umgesetzt.
Weitere Aufführungen in der Oper Graz – 24. und 31. Jänner, sowie 3., 11., 16. Februar, 1. und 10. März – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Andreas-J. Etter