Kleider machen Leute, Leute machen Pakete
GRAZ / LA STRADA (1)
30/07/23 Ein Container auf einem der Innenstadt-Plätze. Immer nur ein Mensch findet Einlass. Was erwartet einen hinter dem schwarzen Vorhang? Mag sein, dass The Parcel Project genau fürs Gegenteil vom Motto des Festivals La Strada in Graz steht: Im Paradies.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein Drehstuhl, an den vier Wänden Bildschirme. Der Betrachter darf sich als Paket auf der Reise fühlen, denn Johannes Bellinkx und Daan Brinkmann (Belgien/Niederlande) haben genau hingeschaut, was mit einer Warensendung passiert, von dem Moment an, da das Paket auf Reisen geschickt wird bis zur Zustellung. Passiert millionenfach jeden Tag. Das Paradies für Online-Käufer, die Hölle für jene in den Logistik-Zentren? Erstaunlich wenige Menschen sind beteiligt, aber die haben es in den riesigen Hallen der Verteilerzentren vermutlich ähnlich heiß wie der La Strada-Gast, der das alles aus Paket-Perspektive (und ohne Kommentar) erlebt.
In riesigen Hallen geht es über Förderbänder, über mechanische Gabelungen dorthin, wo dann doch Menschen mit Scanner die Codes ablesen. Im letzten Schritt ist Zupacken angesagt, die vorsortierten kleine Stapel werden in den Lieferwagen gepackt und zugestellt. Das ist herzlich unspektakulär, aber es schadet in Zeiten des ausufernden Online-Handels nicht, darüber nachzudenken über die Wege der bestellten Dinge, über die Logistik und, ja, über die Menschen – auch wenn die Gesichter verpixelt sind. The Parcel Project wertet und (ver)urteilt nicht. Am ehesten wird einem bewusst, wie Technik den Menschen verdrängt.
Solche Projekte gehören unterdessen fix zum zehntägigen Festival La Strada, das schon längst kein reiner Straßentheater-Event mehr ist. Partizipative Projekte, zum Teil maßgeschneidert auf den Ort, gehören dazu. Und im besten Fall kommt beides zusammen, lustvolles Schauen und Nachdenken. Etwa in jener Performance, die heuer das Plakatmotiv lieferte: Das niederländische Künstlerduo Zwermers macht sich in Pan~//Catwalk ans Umziehen. Aus nicht weniger als 201 Tragtaschen, die rund um den Stadtparkbrunnen aufgestellt sind, holt das Paar drei Stunden lang Kostüm um Kostüm. Von Kopf bis Fuß der jeweils passende Dresscode, sogar die Haare der Frau sind flugs zum Zopf geflochten fürs Steirerdirndl. In kürzester Zeit stehen die beiden bei dieser Verkleidungs-Performance mehr oder weniger perfekt gestylt da, in ultra-modischem Outfit oder als historische Figuren. Kleider machen eben Leute, jetzt und immer schon.
Auch heuer ist die fabelhafte Gruppe Gravity & other Myths da (sie waren auch schon Gast beim Salzburger Winterfest). Sie zeigten dieser Tage in Graz frei zugängliche Performances auf Plätzen, aber das Highlight waren zwei Auftritte im Opernhaus mit der Produktion The Pulse. Da sind gleich zwei Dutzend dieser fulminanten Bodenturner und Menschenturm-Bauer am Werk, und dazu kommt ein katalanischer Frauenchor. Wie beschreibt man diese atemberaubend pulsierende Bühnenschau? Es geht darum, wie sich aus Zufälligkeit Ordnung ergibt, und wie genau dies passiert, ohne dass das einzelne Individuum seine Freiheit aufgibt. Gravity & other Myths ist ja nicht nur eine Gruppe, in der Einzelne sich auf besondere artistische Kunststücke verstehen. Es scheinen einfach alle alles zu beherrschen.
„One, two, three“ singt der Chor,und so geht's vom Saltoschlagen der Einzelnen zu Zweier- und Dreiertürmen. Wie die Türme und Pyramiden aufgebaut werden, so fallen diese auch wieder auseinander. Die Abstürze nehmen einem fast den Atem – aber es ist immer einer zur Stelle, der drohenden Genickbruch verhindert. An dem ständigen Pulsieren dieser Artisten-Masse, am schier grenzenlosen Variantenreichtum kann man sich schier nicht sattsehen. (vielleicht verhält es sich auch umgekehrt).
La Strada überzieht die Grazer Innenstadt, aber auch Außenbezirke mit Veranstaltungen, und gleichsam als Appetitmacher dienten an den Eröffnungstagen gleich mehrstündige Ewvemnts mit Auftritten unterschiedlicher Gruppen vor dem Rathaus und am Kaiser-Joseph-Platz. Man ist nah an der „Kundschaft“, und da wird einem als Salzburger wieder einmal der Unterschied zwischen den beiden Städten so recht bewusst. Graz gehört noch den Einheimischen...
La Strada in Graz dauert bis 5. August – Es gibt auch Veranstaltungen in Leibnitz und Weiz (1.8.)sowie in Stainz (2.8.) – www.lastrada.at
Bilder: dpk-krie (2); La Strada/Nikola Milatovic (2)