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Waldeinsamkeit oder Revolte im Büro

GRAZ / LA STRADA (2)

02/08/23 Macht schon neugierig, ein Programmpunkt Bed & Breakfast in the Forest. Das Bett ein Baumzelt. Das Frühstück steirischer Sterz. Der Wald ein Stück Idylle nahe Stattegg, halbe Höhe ungefähr zum Schöckel. Der Inhalt der sechzehnstündigen Aktion: Schweigen im Walde.

Von Reinhard Kriechbaum

Da sitze ich also allein weitab von den anderen fünf Teilnehmern wie auf einem Logenplatz und schaue die ersten anderthalb Stunden vor mich hin. Tut man eh viel zu selten, einfach Wald anschauen mitsamt Bäumen und Zwischenräumen. Wie mit dem Lineal ausgerichtet die kerzengeraden Fichtenstämme, deutlich kreativer sich rankend die paar Laubgewächse. Hab ich nie nachgedacht drüber, aber klar! Gerade Fichtenbretteln sind Standardangebot im Baumarkt.

Nach gut halbstündigem Anmarsch haben uns die drei Gastgeber willkommen geheißen, an einem hübschen kleinen Land-Art-Rondeau aus Zweiglein, Zapfen und mit einem zarten Glöckchen inmitten. Und mit Notizbüchlein, denn gesprochen wird die folgenden Stunden nicht. Es gilt das gekritzelte Wort.

Marta Navaridas und Alex Deutinger kommen von der Choreographie her, Bernhard Wolf ist der Land Art'ler im Trio, das einem seine Kunst fortan nicht aufdrängen wird. Getanzt hat höchstens das Abend- und Morgenlicht auf den Fichtenstämmen. Schön die Erkenntnis, dass eine künstlerisch erzeugte Stille und Leere auch sehr erfüllend sein kann. Sollte man öfter tun, anstatt atemlos Kulturveranstaltungen nachzulaufen. Fixplan für die Pension!

Schier an alles ist gedacht. An Fichtenbäumchen sind kleine Reflektoren angebracht, damit man auch nachts mit Stirnlampe den Weg zum Öko-Plumpsklo nicht verfehlt. So lob ich mir den Ruf der Wildnis. Wie schön, eine Baumstamm-Handbibliothek! Finding Mother Tree ist ein lockender Titel, Verwobenes Leben wirkt auch stimmig. Aber die 111 tödlichsten Pflanzen, die man kennen muss – haben wir leidenschaftliche Pessimisten in der Kleingruppe? Nichtstun – das ist wohl der Renner für die nächsten Stunden, und prompt hat mir einer den Ratgeber vor der Nase weggeschnappt.

Gegen halb elf ist eine Nachtwanderung angesagt. Künftig Schwammerlsuchen nur mehr mit Stirnlampe, die Schwämme leuchten einem entgegen! Nacktschnecken machen sich über weiße Schwammerl her, die unser einer eh stehen ließe. Herrlich entstressende Stunden jedenfalls – die kleine Gruppe hat das Schweigen so sehr genossen, dass selbst im Transfer-Bus zurück nach Graz niemand befreit losgequasselt hat.

Dagegen echtes Mitmach-Theater mit Quasselfaktor: PUTSCH ist angesagt in einer Produktion eins Ensembles, das sich Das Planetenparty Prinzip nennt (Linzer Landestheater und Schäxpir-Festival Linz stehen auch dahinter). Spielort ein echtes Büro mit echt arbeitenden Menschen. Aber da sind eben auch ein Dutzend Schauspieler, die mit schlurfender Betriebsamkeit sinnlosen Tätigkeiten nachgehen. Meine Favoritin ist die Putzfrau, die ihren Besen liebevoll kämmt und Zöpfe in die Besenhaare flicht. Das Publikum schlüpft in die Rolle von hoffnungsvollen Praktikanten. Erst mal heißt es: Zettel abstempeln. Und einen Karton mit wichtigen Unterlagen suchen.

Wir haben Kopfhörer bekommen, und da hören wir unsere „innere Stimme“. Die wirkt mal gelangweilt, mal ehrgeizig und beflissen, mal anpässlerisch und zunehmend frustriert – aber erst gegen Ende zum Aufstand gegen die beiden Firmenchefs bereit. Dank ihr wissen wir jedenfalls, was zu tun und zu denken ist. „Eine Müdigkeit schleicht sich ein, wie es sie nur im Büro geben kann“, sagt die innere Stimme, während ich an einem Büro-Schläfer vorübergehe und mir allmählich schon die Frage stelle: Könnte man nicht ein wenig mehr Pep in die gut gemeinte, aber von der ersten Minute an durchschaubare Sache bringen? Zweidreiviertel Stunden Beschäftigungstherapie sind jedenfalls entschieden zu gut gemeint. Bis der Putsch ausbricht – es gibt hoffentlich in vielen Firmen einen Babler unter den roten Betriebsräten – dauert's jedenfalls. Ober er erfolgreich ist, verraten wir nicht. Für den Event im Büro einer Wohnbaugesellschaft braucht's natürlich Tickets (15 Euro) und man muss unterschreiben, dass man nichts von dem, was man auf den echten Schreibtischen liegen sieht, fotografiert oder weitererzählt.

An partizipatorischem Theater und an Community-Art-Projekten mangelt es dieser Tage nicht in Graz. Solche Angebote sind neben Nouveau Cirque und Musik-Performances ein festes Standbein des Festivals La Strada. Man ist genau dafür auch Mitglied im EU-weiten Netzwerk in situ, mit dem genau solche Kunstinitiativen gefördert werden.

Danae Theodoridou lädt ihr Publikum zu dem partizipatorischen Projekt One Three Some ins Grazer Rathaus ein. Das wird also eine Demokratie-Beteiligungs-Selbsterfahrung. Die belgische Compagnie Krak lässt in Bench Invasion ihre Gäste Bänke schnappen und heißt sie Platz nehmen an Orten, wo man für gewöhnlich nicht herumsitzt. Also eine Stadt-Erfahrung aus ungewöhnlichem Blickwinkel. Da wird’s wohl weniger leise zugehen als im Wald. Diesen zu durchforsten ist übrigens auch ohne Sechzehn-Stunden-Zeltcamp möglich. Dort stehen nämlich auch Wegweiser zu Bar, Supermarkt, Walddom, Rathaus, Sauna – offenbar ist alles da in dieser Wald-Heimat, die Peter Rossegger sich so nicht hätte träumen lassen.

La Strada dauert noch bis 5. August. Die Waldübernachtungs-Aktion findet allabendlich statt, aber sehr exklusiv für nur sechs Teilnehmer – www.lastrada.at
Bilder: dpk-krie

 

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