Straße, Park, Zirkuszelt
GRAZ / LA STRADA
03/08/22 Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem hyperaktiven Nachbarn nicht gefällt. Entre serre et jardin vom Künstlerduo Atelier Lefeuvre & André gehört zu den Klassikern des Nouveau Cirque und war dieser Tage in Graz beim Festival La Strada zu sehen, das heuer sein 25jähriges Bestehen feiert.
Von Reinhard Kriechbaum
Dieser Kleinkrieg „zwischen Garten und Glashaus“, das urkomische Kräftemessen zweier Nachbar-Gartler: Darüber durfte man schon beim Salzburger Winterfest lachen, vor gefühlten urdenklichen Zeiten. Ja, das Winterfest ist ja nur wenige Jahre jünger als La strada in Graz. Und der Nouveau Cirque ist ja so neu nicht mehr, sondern hat schon eine ansehnliche Geschichte. Die ersten in diesem Genre sind schon deutlich übers Pensionsalter hinaus. Wie eben Didier André und Jean-Paul Lefeuvre. Was das Artistische angeht, ist längst die nächste, gar übernächste Generation am Trampolin, am Trapez oder an der federnden Balancestange. Das hat vor dem Grazer Rathaus der französische Barcode Cirque (der im Vorjahr beim Winterfest gastierte) bestätigt. Was die Alten freilich nach wie vor anzubieten haben ist die unaufdringliche leise Clownerie. Die zugespitzte Alltags-Bizarrerie, der ironische Blick auf die kleinbürgerlichen Macken, die in jedem von uns schlummern: Das haben Lefeuvre & André nicht nur im kleinen Finger. Und sie sind klug genug, das Artistische im Hintergrund zu halten.
Was den Blick auf den Zirkus einst und jetzt anlangt, gehört Danny Ronaldo wahrscheinlich zu den Spitzenleuten seiner Branche (es wäre an der Zeit, den Circus Ronaldo auch nach Salzburg zu holen). Wenn einer wie Danny Ronaldo auf die sieben Generationen seiner Zirkus-Familiendynastie zurückblickt, dann mischt sich nicht wenig Nostalgie in die Erinnerung – und in die Zukunftsperspektive. Dieser begnadete Clown hat den Sprung vom „alten“ zum „neuen“ Zirkus gar wundersam hinbekommen. Vor zwei Jahren hat er auch schon bei La strada sein Zelt aufgebaut, und die Manege war damals der Friedhof seiner Vorfahren. In Fidelis fortibus hat er damals ihre (Überlebens)Geister wieder hervorgelockt. Unterdessen tritt er mit seinem Sohn Pepijn Ronaldo auf – und es ist eine nicht minder wehmütige, ans Herz greifende Geschichte einer nicht ganz friktionsfreien Hof-, pardon Manegen-Übergabe. Etwas vom Poetischsten, was dieses Genre überhaupt zu bieten hat. Um den Weißclown, so erfährt man am Ende, ist's noch lange nicht geschehen. Auch wenn er vorerst ein bisserl schlacksig daherkommt.
La strada ist also 25 Jahre alt. Angefangen hat es dezidiert als Straßenkunst-Festival. Unterdessen bietet die neuntägige Veranstaltung ein wesentlich differenzierteres Bild hinsichtlich der Musik- und Theaterformen und auch hinsichtlich der künstlerischen Intentionen. Die Artistik und Clownerie unter freiem Himmel, die (Straßen-)Musik – das sind immer noch Elemente, die gleichsam die Außenwirkung ausmachen. Manches gibt’s da in der Grazer Altstadt (und in einigen Bezirksstädten) nach wie vor zum Nulltarif. Der Nouveau Cirque ist ein Aspekt von vielen und freilich auch in Graz nicht zum Nulltarif zu haben. Mit ausreichend Bezahl-Vorstellungen finanziert man die anderen Vorhaben. La strada ist Mitglied des internationalen Künstler-Netzwerks In situ. Da geht es also um ortsspezifische Kunst- und Theaterunternehmungen. Der Mensch und sein Verhältnis zur Natur und Umwelt, auch zu sich selbst ist ein Thema. Da hat beispielweise Dries Verhoeven einen kleinen Beton-Kubus auf den zentralen Jakominiplatz gestellt. Eine Mini-Apotheke, wo von einem androiden Roboter glückbringende Substanzen aller Art angepriesen werden. Immer nur vier Leute zugleich dürfen hinein in diese Anpreisung von Happiness – die Roboterdame beschreibt die segensreichen Wirkungen, aber auch die unerwünschten Nebenwirkungen all dieser Mittel, die unser Gemüt aufhellen sollen. Man geht hinaus mit dem aufgemöbelten Bewusstsein, dass wir das, was wir unter Glück verstehen, am besten generell überdenken sollten.
Die Grazer Künstlerin und Sängerin Lisa Horvath hat im Event-Raum im Schlossberg eine halbe Erdkugel aufgeblasen. Physiker werden mit dem Titel 5,97 x 10 hoch 24 kg oder die Masser der Welt etwas anfangen können, auch mit den vielen Zahlen, die an die Felswände projiziert werden. Und nicht vergessen: Drücken Sie die Erdkugel, sie ändert ihre Farbe...
Und „echtes“ Straßentheater? Ganz lieb die Produktion Qui vive des französischen Schauspieler-Paars Doriane Moretus und Patrick Dordoigne. Wir haben diese Performance in einer Wohnsiedlung der neuen „Smart City“ hinter dem Bahnhof miterlebt. Mit dem zur Minibühne mutierten Hubstapler kommen die beiden gefahren, nehmen ihr im Gras oder auf dem Asphalt hockendes Publikum mit auf eine Lebensreise. Die Utopien und Realitäten als 20-, 30- und 50-Jährige, mit(Selbst)Ironie und Verve zugespitzt – den Publikumsreaktionen nach zu schließen treffen sie damit direkt ins Herz ihrer Zuschauer.
Das Zuspitzen ist leider nicht die Stärke des österreichischen Performance-Ensembles Follow the Rabbit, das in seiner surrealen Musiktheater-Produktion Fear the Women in the Dark einen Park im Norden der Stadt bespielt hat. Da ist eine – ur-bösartige oder ur-weise? – Hexe plötzlich mit zwei deutlich jüngeren Doppelgängerinnnen konfrontiert. Es gilt, das Verhältnis zur Natur neu zu überdenken. Das gerät mit eindreiviertel Stunden Spieldauer gar langatmig. Starke Natur kann anregen, aber auch unbarmherzig zurückschlagen, wenn man ein Vorhaben gar zu raum-greifend angeht.
Am kommenden Wochenende werden wir bei La strada unter anderem sehen, wie sich der Sänger und Klang-Choreograph Alex Franz Zehetbauer in einen Brunnentroll verwandelt und da und dort im öffentlichen Raum auftaucht. Derweil lässt Marco Barotti auf dem Hilmteich Swans schwimmen. Seine Schwäne sind Satellitenschüsseln, Müll aus einer Zeit, da TV noch mehrheitlich mit terrestrischem Empfang zu tun hatte. Und was auch noch kommt: Die spanische Compañia Maduixa, vier Damen auf Stelzen. Migrare heißt ihr Programm.
La strada dauert bis 6. August – www.lastrada.at
Bilder: dpk-krie