Das Leben ist ein Wettlauf mit dem Tod
GRAZ / MACBETH, SOMMERNACHTSTRAUM
30/05/22 Mag sein, dass die Putz-Crew im Schauspielhaus Graz aufgestockt werden musste und auch mehr Duschen hinter der Bühne installiert wurden: So viel Bühnenblut, wie in Stephan Rottkamps Inszenierung des Macbeth fließt, kriegt man weder vom Boden noch von der Haut so leicht weg.
Von Reinhard Kriechbaum
Man spielt die Paraphrase von Heiner Müller, es geht also nicht mit den Hexen los wie bei Shakespeare, sondern mit dem Boten, der von der Schlacht berichtet: Durch dichte Rauchschwaden und unter Kriegsdonnern kommt der Mann an die Rampe, erst nur schemenhaft erkennbar. Splitterfasernackt ist er, über und über blutverschmiert. So berichtet er von den heldenhaften Taten des Macbeth. König Duncan wird als Trophäe der abgeschlagene Schädel eines Feindes überreicht. Es rinnt noch das Blut heraus.
Es geht also alles andere denn zimperlich zu. Diese Männer sind Krieger im Dauer-Modus, das Morden ist ihr Job. Kein Wunder, dass auch zum Streben nach der Krone und dem Erhalt der Macht das Töten Mittel Nummer eins ist. Eher ein Wunder, dass es erst der Initiative von Lady Macbeth bedarf, um die Spirale des Mordens in Gang zu setzen. Eigentlich sollte ihr Gatte keine Skrupel haben, er ist ja geübt darin. Man glaubt ihm fast nicht, wenn er später sagen wird: „Ich hab vergessen, wie der Angstschweiß schmeckt.“
Bühnenblut wird kübelweise verschüttet in dieser Produktion. Die Männer kriegen es nicht von Armen und Beinen, meist auch nicht aus den Gesichtern. Das entspricht auch ganz der Botschaft von Heiner Müllers Stückfassung – Macht korrumpiert und ist der siamesische Zwilling von Gewalt. „Mein Tod wird euch die Welt nicht besser machen“, lässt Heiner Müller Macbeth zuletzt sagen.
Was dem Regisseur noch wichtig war: die Entfremdung von Macbeth und der Lady zu zeigen, die nach der Mordserie – ein/e jede/r für sich – vom schlechten Gewissen zernagt werden und einander nichts mehr zu sagen, eigentlich nur voneinander wegzuschauen haben.
Sarah Sophie Meyer ist diese Lady Macbeth, mit einer Perücke, deren Haar bis zu den Oberschenkeln reicht. Wenn Argumente fürs Töten nicht wirken, wird geküsst was das Zeug hält. Florian Köhler als Macbeth macht, rote Überschwemmung auf der Bühne hin und her, doch deutlich, dass auch Töten um der Karriere Willen zumindest psychisch einen hohen Blutzoll kostet.
Sonst nur fünf Darstellerinnen (Hosenrollen) und Darsteller, alle in Doppel- und Dreifachrollen. Das ist einleuchtend, sind doch all diese Haudegen aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sie alle tragen auch dieselbe Kleidung, Schottenkilts, obenrum lederne Schutzwesten. Wenn sie mal im kessen Schottenstoff daher kommen (zu Macbeth' Krönungsfest), wird das zu einem skurrilen Gesellschaftstanz. Das ist nicht das Parkett dieser Mannsbilder, die mit Macbeth' Worten nach dem Motto handeln: „Das Leben ist ein Wettlauf mit dem Tod.“
Macbeth ist in dieser Version ein Kammerspiel mit ganz starken – vielleicht manchmal sogar ins Kraut schießenden – Bildern. Fünf senkbare Licht-Blöcke gliedern die Bühne, scheinen manchmal niederzufallen auf die Darsteller (Bühne: Robert Schweer). Effekthascherei ist dieser Inszenierung nicht fremd. Der letzte Auftritt der Lady Macbeth: Mit einem Kärcher kommt sie daher und versucht, die Blutlachen aufzusaugen. Vergeblich natürlich. Sie öffnet den Tank und taucht ihren Kopf tief ins Blut...
Noch einen Shakespeare hat man im Grazer Schauspielhaus derzeit im Programm, den Sommernachtstraum. Diesen sogar in der klassischen Übersetzung von Auguist Wilhelm Schlegel. Markus Bothe war der Regisseur, der in dieser Textfassung freilich mit dem Rotstift so sehr gewütet hat, dass nicht viel mehr als das pure Handlungsgerüst übrig geblieben ist. Das wird dafür mit reichlich Komödiantik aufgeladen. Das ist vor allem spontan witzig, aber das Sinnliche, die erotischen Anspielungen – davon bleibt so gut wie alles auf der Strecke. Irgendwie wirkt dieser Sommernachtstraum auf jugendfrei getrimmt. Übung gelungen. Die Botschaft, dass es im Zauberreich ebensowenig koscher zugeht wie bei uns Menschen, ist nicht der sommernachtsträumerischen Weisheit letzter Interpretations-Schluss.
Witzig freilich die Ausstattung, ebenfalls von Robert Schweer: Da kommen eingangs die Protagonisten aus überdimensionalen Papierschachteln, und über weite Strecken ist die Bühne voll mit Bergen von kleinen Styropor-Kügelchen (stoßdämpfendes Verpackungsmaterial). Darin können die Protagonisten waten, wühlen, auf- und wegtauchen.