All inclusive im Club Naxos
GRAZ / STYRIARTE / ARIANNA
27/06/22 Naxos – das ist jene griechische Insel, die mit Mythen überschwer befrachtet ist. Man wundert sich fast, dass sie davon noch nicht unter Wasser gedrückt ist. Tut also gut, wenn man's mal leicht nimmt: In der diesjährigen Opernproduktion der Styriarte in Graz, La Corona d'Arianna von Johann Joseph Fux, ist Naxos ein Ferienclub mit Personnage der späten 1960er Jahre.
Von Reinhard Kriechbaum
Jedes Jahr eine Oper von Fux, das ist ein verdientes Langzeit-Projekt. Dafür gibt es ein produktives Joint venture zwischen der Styriarte und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In der „Arbeitsstelle der Fux-Gesamtausgabe“ werden die Noten aufbereitet. Bevor sie in der Online-Reihe „Fux concertato“ mit open access publiziert werden, nutzt und erprobt man sie bei der Styriarte. Auch heuer ist dafür Alfredo Bernardini als Leiter des Zefiro Barockorchesters am Werk.
Der Hof des Schlosses Eggenberg ist wieder ein stimmiger, von Umweltgeräuschen erstaunlich gut abgeschirmter Ort für eine solche Opern-Neuerweckung des „großen steirischen Barockkomponisten“ (Zitat Programmheft). Bei so viel Lokalpatriotismus muss man schmunzeln, hat er doch selbst nie in der Steiermark Musik gemacht. Johann Joseph Fux ist zwar nahe Graz in bäuerlichem Milieu geboren und hier kurz zur Schule gegangen. Seine letzte Spur am Ort ist der Eintrag „profugit clam“: Er ist heimlich entflohen aus dem Jesuiten-Konvikt. Adieu Steiermark! Fux taucht kurz als Student und Organist in Ingolstadt auf – und dann klafft eine ziemlich große bioghraphische Lücke. Nächste Station ist Organist am Wiener Schottenstift. Zwei jahre später, 1698, ist er auch schon Hofkapellmeister von Leopold I. Was für eine Karriere!
Die Arianna, die man jetzt in einer auf siebzig Minuten eingekochten, also stark gekürzten Fassung kennen lernen konnte, entstand 1726. Sie wurde uraufgeführt zum Geburtstag der Kaiserin Elisabeth Christine (der Mutter von Maria Theresia). Wir wissen natürlich nicht, was alles weggestrichen ist. Was wir hörten, ist jedenfalls Fux'sche Kompositionskunst vom Allerfeinsten. Die Liebesgöttin Venus hat alle Hände voll zu tun, um zwei Paare zusammen zu bringen: Die von Theseus sitzen gelassene Arianna bläst Trübsal, ihr wird schließlich der Gott Bacchus als Gespons zugeführt. Das zweite füreinander bestimmte Paar: Thetis und Peleus. Warum letzterer sich gar so wehrt gegen eine Beziehung mit Thetis, erfahren wir aus dem, was vom Libretto übrig ist, nicht, aber das lässt sich ganz leicht googeln: Das Orakel sagte, der Sohn von Thetis werde viel stärker sein als sein Vater – welcher potentielle Ehemann lässt sich schon auf so was ein?
In der Instant-Fassung geht's aber eh nicht um die Mythologie, sondern um die musikalische Stimmungsmalerei. Ein „sanftes Lüftchen, das mit seinem süßen Atem die Segel meines Liebesbootes bläht“ – in der Art geht’s arkadisch dahin: mit frischem Luftzug, mit Tau benetzt, mit erquicklichem Gewölk bis zur Rose, die „der Biene meines Herzens süßen Honig verspricht“. Da deklinierte Fux vorwiegend im Streichorchester die lyrische Musik-Rhetorik seiner Zeit durch. Bacchus schwört der sich halsbrecherisch zu Wort meldenden Kriegstrompete ab und lässt deren Klang sich „mit den lieblichen Saiten verflechten“. Eine solche kompositorische Liebesheirat sucht ihresgleichen. Und Ariadnes Liebes-Anfrage ans eigene Herz, die gleich ein doppeltes Echo beantwortet, folgt auch höherer Kompositionswissenschaft.
Dass Fux sauschwer, fast undankbar zu singen ist, macht das handverlesene Ensemble vergessen. Rafał Tomkiewicz (Bacchus) und Meili Li (Peleus) sind die beiden Countertenöre, die also mit Carlotta Colombo (Arianna) und Marianne Beate Kielland (Thetis) verbandelt werden. Letztere ist gegenüber der Titelrolle an Zahl der Arien deutlich übervorteilt – aber eigentlich sollte die Oper in dieser Version sowieso Venus heißen. Monica Piccinini ist als Liebesgöttin die zentrale Figur.
Eine Besonderheit dieses Werks sind die vielen Chöre. Amoretten und Grazien, Tritonen und Nereiden, Nymphen und Hirten – ein reiches Betätigungsfeld für den Arnold Schoenberg Chor.
Clubstimmung vor allem an der Bar: Adrian Schvarzstein (Regie) und Lilli Hartmann (Ausstattung) katapultieren uns zurück in die Zeit der Blumenkinder und deren Popstars. Das ist alles deutlich weniger feinsinnig als die Musik, die man sich sehr gut konzertant vorstellen könnte.