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Das Klirren scharfer Wortklingen

WIEN / BURGTHEATER / CYRANO DE BERGERAC

06/04/22 Martin Crimp hat den Mantel-und-Degen-Klassiker Cyrano de Bergerac neu geschrieben. Hat Edmond Rostands Sichtweise vom Ende des 19. Jahrhunderts sehr konkret zurück geführt ins historische Umfeld des Frühbarock und des Dreißigjährigen Kriegs. Und er hat den Cyrano zugleich total heutig ausgerichtet, als ein Wortgefecht im Stil eines Battle-Rap-Events.

Von Reinhard Kriechbaum

Sechs Schminktische, zwei Kinostühle, zwei Kleiderständer, ein Klavier, ein Schlagzeug, zwei E-Gitarren. Leute in Straßenkleidung kommen auf die Bühne, begrüßen sich, schießen Polaroids. Degen haben sie schon auch dabei, und zwei legen auch wirklich eine Fechtnummer hin – aber das ist noch vor Vorstellungsbeginn. Dann ist drei Stunden lang kein Fechtgerät mehr zu erblicken. Es wird allein mit Worten zugestochen. Im Freistil, wie es sich gehört in einem Wortgefecht des Hip-Hop-Zeitalters.

„Lausch mit Inbrunst / meinem Kaleidoskop der Schimpf-Kunst!“ Das ist die Devise von Cyrano und seiner Widersacher. Die anderen ausstechen mit allen Mitteln. Alles ist erlaubt, nur irgendwo im Satz muss es sich reimen. Das Versmaß ist bei Martin Crimp und seinen Verdeutschern so frei wie die Sprache und die Inhalte. Da wird enthemmt kalauert und einen Halbsatz später hintergründig ironisiert. „Jedes Gericht wird straffer / durch eine pikante Lebensmitel-Metapher“ heißt es, und in der nächsten Szene tadelt die selbstbewusste Roxane „den männlichen Blick in der Frühmoderne“.

Und der Mann mit der langen Nase, sprich „dem radical coming out“ im Gesicht? Der dichtet ganz gemäß dem literarischen Vorbild Rostands hunderte Liebesbriefe für seinen Liebes-Widersacher Christian. Aber er zieht (und das steht so nicht bei Rostand, sondern in der Biographie des echten Cyrano) für die Freiheit und persönliche Integrität ins Feld. Natürlich auch für jene der (Dicht-)Kunst. Gerne verzichtet er auf einen guten Draht zu den Zensoren im Dienst des Kardinals Richelieu, verzichtet auch „auf eine Leiter in den Arsch von Kulturfunktionären“. Und sagt ganz poetisch-renitent in Sachen künstlerischer Authentizität: „Das lohnt mehr als im fahlen Erdendämmer / mitzumachen beim Schweigen der Lämmer“.

Da könnte man sich also nach drei Theaterstunden mit Gewinn durchzitieren durchs provokant Platte oder gewitzt Geistreiche. Man fühlt sich zwischendurch auch gut durchnässt von den Wortschwällen, aber in der Inszenierung von Lily Sykes werden dann doch über wesentliche Strecken auch der Nachdenklichkeit Wege freigestochen.

Es ist eben auch in einer Battle-Rap nicht alles bloß sportives Maulgemetzel. Plötzlich wirken die Figuren dünnhäutig und verwundbar. Da ist Christian nicht nur der tölpelhafte Akademiker-Hasser, als der sich Tim Werths zurst einführt. Und Franz Pätzold in der Titelrolle denkt mehr als ein Mal darüber nacht, ob er mit seinem Ghostwrighter-Engagement nicht Chistian mehr betrügt als Roxane. Lilith Häßle ist diese selbstbewusste, in ihrer Intellektualität vielleicht gar zickige Roxane, die den steifen, mit heiserer Stimme auf Liebe drängenden De Guiche (Markus Scheumann) unverblümt abblitzen lässt. Lily Sykes formt mehrschichtige und deshalb glaubwürdige Figuren.

In Lily Sykes Inszenierung wird’s in Akt vier und fünf apokalyptisch. Über der Bühne hängen jetzt auf Wäscheleinen dutzende Hemden mit roten Kreuzen: Symbol für die Gefallenen. Drunter geht die Wort-Battle weiter, aber deutlich schaumgebremst. Nur kurze Aufhellung bei Erscheinen der Frauen. Nach Schlagzeug-Granatendonner sitzt Christian auch bald mit Kreuz auf dem Hemd da. Tot, auch wenn er noch eine Gitarre in Händen hält.

Zeitschnitt, fünfzehn Jahre später: Roxane hat, anders als in Rostands Vorlage, wo sie ins Kloster geht, „viele Männer“ gehabt. Das erfahren wir aus ihrem Mund. Cyrano ist jetzt so etwas wie der Hausfreund, der sie mit gutem Lesestoff versorgt. Wo bleibt er jetzt nur? Schließlich kommt er doch, gesteht die Sache mit den Briefen, was Roxane mit fassungslosem Lachen und Weinen zugleich quittiert. Aber da leuchtet schon auf Cyranos Rücken das Kreuz (wir sind wieder nah an Rostand). Noch führt er die letzte Wort-Schlacht gegen sich selbst. „Kommt ein Mann in die Bar“, hebt er mehrmals an, die Witze nehmen unterschiedliche Wendungen. Einer ist der letzte. Blackout. Eine Tragödie, auch ohne Degen.

www.burgtheater.at
Bilder: Burgtheater / Nikolaus Ostermann (2); Mattias Horn (1)

 

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