Mehr Power im Pool
OPER GRAZ / UNDINE / HENZE
01/04/22 Virtuos die Tänzerinnen und Tänzer. Brillant und voll Energie das Orchester. Eine Rarität die Musik. Einfach phantastisch – opulent und wie aus einem einzigen Farb-Guss – Bühnenbild und Kostüme... Das Ballett Undine in der Oper Graz ist eine rund um perfekte Produktion. Höchstens ist von allem ein Hauch „zuviel“.
Von Heidemarie Klabacher
Sechs mal die Hauptfigur ist auch nicht wenig. Zugegeben: Würde nur eine einzige Prima-Ballerina die Nixe Undine tanzen, wäre die Szene deutlich weniger belebt, wären die Pas de Deux deutlich weniger effektvoll. Das Splitting einer Figur in insgesamt sechs Personifikationen – die sich darstellerisch und choreografisch und charakterlich wenig voneinander unterscheiden – macht aber auch ein klein wenig nervös. Hat man doch gelegentlich das Gefühl, die männliche Hauptfigur – Palemon heißt er und kommt nur in einer einzigen Person vor – ist vor allem mit Undinen-Schlichten beschäftigt.
Das Luxuriöseste an der rundum luxuriösen Produktion ist die Live-Musik aus dem Orchestergraben: Die Grazer Philharmoniker mit der Klaviersolisten Tetiana Dranchuk unter der Leitung von Vassilis Christopoulos bringen die Undinen-Musik von Hans Werner Henze zum Swingen, zum Wogen, zum Träumen – alles kurzweiligst changierend zwischen Prokofjew und Bartók (Der wunderbare Mandarin lässt mehr als nur einmal grüßen), zwischen Puccini und Count Basie.
Dass in die – von der Kunstform Ballett erforderte – musikalische Kleingliedrigkeit der vielen kleinen und kleinsten Nummern ein solcher Zug und Drive hineinkommt, der dem nervig-pulsierendem Ganzen einen spürbare Anmutung von Geschlossenheit verleiht, ist eine der vielen Qualitäten der Produktion. Vassilis Christopoulos und die nicht nur in den vielen Soli brillanten Grazer Philharmoniker sind das Asset der Produktion.
Zu der – einzig auf die Stilmittel des klassischen Balletts setzende – Choreografie ist nicht viel mehr zu sagen, als dass Beate Vollack die Handlung nacherzählt. Und dabei Wert zu legen scheint auf Punkt und Komma und ausformulierte Bilder, um nur ja der Fantasie des Publikums keinen Freiraum zu lassen.
Das wäre weniger ins Gewicht fallend, wenn in dick aufgetragenen Farben tatsächlich eine eigene „Story“ erzählt würde. Wenn die getanzte Geschichte irgendwo über die pure Bebilderung hinaus ginge. Dass die Nixe den Menschen-Mann verlieren muss, ist in Märchendramaturgie nur folgerichtig. (Zugrunde liegt ja auch das romantische Märchen von Friedrich de La Motte Fouqué.) Dass hier aber der Mann nach der Trennung desillusioniert und der Hoffnung auf Liebe beraubt zurückbleibt, ist immerhin bedenkenswert.
Ganz zu schweigen von dessen Verlobter Beatrice, die also einen künftigen Ehemann zurückgewonnen hat, der sie nie geliebt und noch dazu alle Glückshoffnug verloren hat... Da hätte eine rigorosere Regie eine aktuellere Story erzählen können. Auch im Märchen-Kontext.
Auch böten die vielen Kämpfe zwischen den Wasser- und den Oberflächenbewohnern viel Raum für zupackende Kämpfe. Aber diese bleiben alle im rein „Ästhetischen“ stecken. Energie ist anders. Das ist rein der Choreografie geschuldet, denn die Tänzer hätten viel mehr Power in sich, als sie raus lassen dürfen. Das angestrebge Bemühen um pure Schönheit wirkt mutlos. Das Potential für ausgewachsene Energieausbrücke wäre im Ensemble zu finden. Kleinere Tsunamis könnten mit diesem Personal im Pool wogen.
Christoph Schaller als Palemon und seine Freunde, sowie Paulio Sóvári als Wasserkönig Tirrenio und sein Gefolge könnten die Wogen hochgehen lassen, wenn sie nur dürften. Die vielen Undinen könnten auch mehr als nur lieb und ein wenig traurig sein. Bewegende Momente und die einzig glaubwürdigen Energieausbrüche gehen auf Rechnung von Ann-Kathrin Adam, die als Beatrice mit aller Kraft um ihre Liebe kämpft. Sie verleiht der so schönen Produktion Tiefe. Ein Augenschmaus ist das Bühnenbild von Jon Morell, das bei aller Monumentalität die Grazie eines Jugendstilbaus ausstrahlt. Die wehenden Kostüme sind Kunstwerke für sich.
Undine – nächste Aufführung am Samstag (2.4.), eine weitere Aufführungsserie ab 7. Mai - oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Ian Whalen