Mensch*innen, fad, wie du und ich
GRAZ / LIBERTALIA 2.0
05/06/18 Karin (Name und Charakter vom Theater geändert) hat schlechte Karten. Als sie auf die Idee kommt, in die Frage pro oder contra Schwangerschaftsabbruch auch den Kindsvater als Meinungsbildner ins Spiel zu bringen, zückt eine Dame aus dem Publikum entschieden ein Spielkärtchen und sperrt die Diskutantin.
Von Reinhard Kriechbaum
Drei Minuten Bußschweigen also für Karin. Dem jungen Mann mit Bühnennamen Thorsten, vermeintlich Handwerker, wird es später noch schlechter ergehen. Als er höhere Bezahlung für Männer mit den kraftmäßigen Ressourcen des „starken“ Geschlechts rechtfertigen will, fliegt er postwendend raus aus der Podiumsrunde. Eine Frau aus dem Publikum nimmt vorerst seinen Platz ein, und das ist gut so.
Das Grazer Schauspielhaus lädt zu einem „Demokratiespiel“ mit dem Titel „Libertalia 2.0“. Der 31jährige Linzer Philipp J. Ehmann, ganz auf interaktive Theaterformen spezialisiert, hat dort im Vorjahr das Publikum Revolution machen, sprich: einen Diktator absäbeln lassen („Press Staat für Revolution“). Jetzt ist die Frage, „Was nach der Revolution geschah“. Einer aus der imaginierten post-revolutionären provisorischen Regierung lädt zum „Bürger*innen-Beteiligungsprogramm“ (den ur-eleganten Amtsstuben-Sprech haben die Neuen also noch nicht ausmerzen können). Das Grüppchen trifft sich im Theaterfoyer, man marschiert durch die schöne Grazer Altstadt zum Landhaus, in den Sitzungssaal. Whow, in welch tollem Barock das steirische Landesparlament tagt! Kein Wunder, dass Politiker manchmal ein wenig zur Abgehobenheit tendieren.
Aber wir schweifen ab, die echten Politiker haben ja Feierabend. Jetzt ist Theater-Reality, das Publikum am Wort. Es soll eine Regierungs-Vorlage ausverhandeln zum Thema „Gleichberechtigung“. Es braucht nicht viel Überredungskunst, sechs Leute aufs Podium zu kriegen. Sie bekommen Vornamen und einen „Charakterbuilder“ (eine Persönlichkeitsvorlage). Birgit ist kirchennahe, Andrea scheint ein Lebensberatungs-Profi zu sein. Aber an solche Vorgaben müssen sie die Leute nicht halten. Überhaupt brauchte sich in den darauf folgenden sechzig Minuten niemand nach irgendwas zu richten außer – sekundengenau! – nach den Zeitvorgaben und nach den Spielregeln, die ein ganzes A4-Blatt füllen und erst etwas langwierig erklärt werden müssen. Eigentlich ist die Luft schon draußen, bevor sich noch ein Diskussionslüfterl zu regen beginnt.
Drei Mal zwanzig Minuten Podiumsrunde, mit Möglichkeit punktuellen Eingreifens durchs Auditorium. Da ginge schon was, wenn sich ein paar subversive Querdenker im Publikum fänden. Vor allem: Wenn sich im Thesenpapier subversive Punkte versteckten, geeignet, Widerspruch und Kreativität wachzukitzeln. Herausfordernde Steilvorlagen wären also gefragt, nicht ein Waschzettel mit Allerwelts-Statements, wie sie vor jedem Internationalen Frauentag Zeitungsseiten füllen.
Leider hatten am Premierenabend die Querköpfe Ausgang. Nicht mal eitle Selbstdarsteller waren da. Nur redliche Mensch*innen, fad, wie du und ich. So saß man da, als pflichtbewusster Mitspieler in spe (oder auch nur in pectore), konnte sich das Gähnen schwer verkneifen und bewunderte sogar ein bisserl diejenigen, die sich wacker fürs Podium gemeldet hatten und jetzt das Beste aus der flauen Sache zu machen suchten.
Nichts hätte man sich sehnlicher gewünscht als ein paar infiltrierte Undercover-Schauspieler, die provoziert hätten. Aber das ist in Philipp J. Ehmann Publikumstheater entschieden nicht vorgesehen. Am Ende werden Stimmzettel abgegeben. Kann man die Vorlage so der Regierung unterbreiten? Vier zu elf dagegen, votiert die ultra-kleine Premierengästeschar. „Direkte Demokratie wird in unserem Land eher nicht funktionieren“, sagt der smarte Spielleiter. Vielleicht hätte eh genau das herauskommen sollen. Philipp J. Ehmann lässt das Publikum anrennen und zeigt, wie mühsam Diskutieren sein kann. Er hätte sich wohl besser ein Setting ausgedacht, warum Populisten mehr ziehen als ausverhandelte Meinung. Das wäre entschieden spannender.