Rienzi und Napoleon
INNSBRUCK / RIENZI
25/05/18 Für „Rienzi, der letzte der Tribunen“, mit dem Richard Wagner 1842 der Durchbruch gelang, muss man zunächst aufführungspraktische Hürden nehmen. Die autographe Partitur ist im Zweiten Weltkrieg verschollen – Adolf Hitler hat sie als Geschenk zum 50. Geburtstag erhalten –, eine (vollständige) Gesamtpartitur wurde überhaupt nie gedruckt.
Von Oliver Schneider
Der umjubelte Uraufführungsabend 1842 in Dresden dauerte über sechs Stunden – und selbst dort war bereits gekürzt worden. Anschließend wurde immer wieder gestrichen, auch von Wagner selbst. Die für Innsbruck erstellte Spielfassung dauert nur dreieinviertel Stunden, samt zweier Pausen, von denen eine allerdings gereicht hätte zugunsten von ein paar Strichen weniger im zweiten und dritten Akt.
Das zweite Problem ist die Rezeptionsgeschichte des Werks: Für den jungen Adolf Hitler war eine „Rienzi“-Aufführung Anfang des 20. Jahrhunderts in Linz das Schlüsselerlebnis für seine Entscheidung, Politiker zu werden. Es waren wohl die pompösen, dem Grand Opéra-Charakter des Werks geschuldeten Massenaufmärsche des Volks, die den jungen Hitler beeindruckten. Und gerade diese haben der Dirigent Lukas Beikircher und Regisseur Johannes Reitmeier, der Intendant des Hauses, auf ein erträgliches Minimum reduziert. Reitmeier konzentriert sich auf die Psyche des vom Befreier selbst zum überheblichen Tyrannen werdenden Rienzi sowie auf die kammerspielartige Beziehung zu seiner Schwester Irene und dem sie liebenden Adriano Colonna.
Gemeinsam mit seinem Ausstattungsteam (Bühne: Thomas Dörfler, Kostüme: Antje Adamson, Licht: Ralph Kopp) verlegt Reitmeier die Handlung zwar in die Gegenwart oder nächste Vergangenheit. Die historische Wiederholung der Geschehnisse deuten die drei Trutzburg-artigen Geschlechtertürme an, wie sie sich die adeligen italienischen Familien im Mittelalter bauten. Der aus einfachsten Verhältnissen stammende Rienzi mag zunächst noch als der Befreier der unterdrückten Römer von den rivalisierenden Mafia-Clans der Orsinis und Colannas scheinen. Mit wehenden, roten Fahnen zeigt er sich als Revolutionär, der sich aber schon während der Ouvertüre insgeheim als kleiner Napoleon sieht. Immer wieder wird François Gérards Gemälde des Korsen eingeblendet.
Sturzbetrunken, sich noch an die Champagner Flasche klammernd und bar seiner Sinne begnadigt er sogar seine adeligen Feinde, die ihn am großen Fest im zweiten Akt hinterrücks ermorden wollen. So sicher ist er sich seiner selbst, dass er sich zum Rienzi hoch zwei mit Lorbeerkranz und im Hermelinmantel macht und damit seinen Untergang einläutet. Noch grollt das Volk nur und folgt ihm nach durchzechter Nacht in die Schlacht, aus der die ehemaligen Revolutionäre zwar siegreich, aber mit großen Verlusten und desillusioniert zurückkehren. Am Ende wechselt das Volk auf die Seite Adrianos, der sich nach der Ermordung seines Vaters vom Freund Rienzis zu seinem Feind entwickelt. Rienzi und Irene, die ihm verblendet und treu in den Tod folgt, anstatt mit Adriano zu fliehen, fallen den Waffen des Volkes zum Opfer, während sich die nächsten Rienzis schon die Lorbeerkonen aufsetzen.
Lukas Beikircher ist für die musikalische Seite des Abends ein Glücksfall. Nach einigen Wacklern in der Ouvertüre ließ sich das Tiroler Symphonieorchester im Laufe des Premierenabends vom Sog der Musik und dem leidenschaftlichen Dirigat mitreißen. Organisch-zügige Tempi und Straffheit verhindern in den effektvollen Massenszenen mit dem funkelnden Blech, dass die Stimmung allzu sehr ins Plakative abgleitet. Dass Beikircher und die Musikerinnen und Musiker auch eine sensible Sprache sprechen, beweisen sie in Rienzis Gebet „Allmächt’ger Vater, blick herab“. Marc Heller als Rienzi zeigt hier, dass sein Tenor eigentlich eine reiche Palette an Zwischentönen besitzt. Bis dahin kämpft er mit nicht optimal verblendeten Registern und setzt auf ein eindimensionales Dauerforte.
Josefine Weber überzeugt hingegen als Irene mit ausgeglichener Tongebung und runden Höhen, hätte aber von der Regie ein wenig mehr Unterstützung benötigt. Jennifer Maines als Adriano erhielt vom Premierenpublikum den meisten Zuspruch. Ihr Spiel und die raumfüllende Mittellage entschädigen für eine gewisse Inflexibilität in der Höhe. Chor und Extrachor des Hauses bestechen schließlich als homogener Gesamtklangkörper (Einstudierung: Michel Roberge).