Liebe auf Zeit
REST DER WELT / ZÜRICH / MADAMA BUTTERFLY
19/12/17 Wenn ein Opernabend echten Herzschmerz versursacht und gleichzeitig geistig aufrüttelt, dann hat er seinen Zweck mehr als erfüllt. So wie aktuell in Zürich die Neuproduktion von Puccinis „Madama Butterfly“ dank der fesselnden Regie von Ted Huffmann und der fantastischen Svetlana Aksenova in der Titelpartie.
Von Oliver Schneider
Ted Huffmann, der erstmalig am Opernhaus Zürich gearbeitet hat, lässt den Abend in einem leeren, weißen Raum (Bühne: Michael Levine) beginnen. Der Raum steht für das bis zum Ende des 19. Jahrhundert kulturell abgeschottete Japan, in das die Amerikaner als Kolonialherren eindringen. So wie Pinkerton, der mit seinen schweren dunklen, amerikanischen Möbeln in seine temporäre Bleibe einzieht. Gewiefte Japaner haben die Möglichkeit des Geschäfts mit den Yankees erkannt: wie der umtriebige Goro (der perfekte Singschauspieler Martin Zysset), der dem Leutnant Cio-Cio-San vermittelt. Ein zerbrechliches fünfzehnjähriges Mädchen aus guter, aber verarmter Familie und mit dunklem, väterlichem Fleck, das an die echte Liebe Pinkertons glaubt. Für ihn hingegen ist die von vorneherein nur für seine Zeit in Japan eingegangene Ehe nur ein Spiel. Saimir Pirgu zeigt es deutlich, wenn er über Cio-Cio-Sans kleine Habseligkeiten lächelt und sich über die japanische Verwandtschaft und ihre Gebräuche mokiert. Aber man kann ihm seinen Hochmut nicht einmal zum Vorwurf machen, führt er sich doch in dieser Inszenierung wie ein junger Mann im postpubertärem Stadium auf und ist in seinem Verhalten entsprechend seiner Zeit sozialisiert. Da fruchten auch die ermahnenden Worte des amerikanischen Konsuls Sharpless (in sich ruhend Brian Mulligan) nicht, der von Anfang väterliche Züge zeigt und sich um das Wohl der jungen Geisha sorgt. Pinkerton liebt Butterfly schon, wie ihr Duett am Ende des ersten Aktes zeigt, aber nur für den Moment.
Huffmann erzählt den Abend konsequent aus der Sicht Cio-Cio-Sans, deren standfeste Liebe gegen alle äußeren Einflüsse und die Ehe letztlich dazu beitragen, dass sie sich als Frau in ihrem konservativen Umfeld emanzipiert und zu einer starken Persönlichkeit reift. Weder ein neuer Heiratskandidat noch die mahnenden Worte ihrer Dienerin Suzuki (facettenreich Judith Schmid) oder von Sharpless können ihre Liebe ins Wanken bringen, was Svetlana Aksenova wirkungsstark auf der Bühne zeigt. Wie sie sich von der jungen, naiven Braut zur felsenfest an die Rückkehr des „Gatten“ glaubenden Frau und zur das Schicksal akzeptierenden Persönlichkeit entwickelt, überzeugt. Aksenova ist mit dem gut fokussierten, leuchtenden Klang ihrer Spinto-Stimme den ganz unterschiedlichen Anforderungen der Partie im ersten und zweiten Akt absolut gewachsen.
Pinkerton kann ihrer Reife im zweiten Akt nichts entgegensetzen. Als er nach Jahren mit seiner amerikanischen Ehefrau Kate (Natalia Tanasii), die wie ein Wachspuppe neben der emotionalen Butterfly wirkt, nach Nagaski zurückkehrt, um den gemeinsamen Sohn nach Amerika zu holen, ist er noch immer der unreife Mann, der seinen jugendlichen Fehler nicht erkennt. Er erkennt sein Unrecht erst in dem Moment, als er seinen Sohn bei Cio-Cio-San abholen will und sie sich die Kehle vor seinen Augen durchschneidet. Saimir Pirgu ist eine Idealbesetzung für den Pinkerton, der ihm stimmlich die Möglichkeit bietet, mit seinem metallischen Timbre und strahlkräftigen Höhen zu punkten.
Daniele Rustioni am Pult der Philharmonia Zürich führt den Taktstock mit Präzision und Leidenschaft durch die von Verschmelzung europäischer Musik mit Zitaten japanischer Volksmusik verwobene Partitur. Grundlage für die Aufführung bildet die gedruckte Partitur von 1907. Rustioni geht es in seinem Dirigat weniger um Schönklang als um eine Komplementarität zur Bühne, um die hart aufeinander treffenden kulturellen Gegensätze auch musikalisch hörbar zu machen.