Vögel und Pianisten
REST DER WELT / SACILE / FAZIOLI
11/04/12 „Kleinvenedig“ sagen die Leute in Friaul zum Ort Sacile, wegen der Kanäle, die die auf zwei Inseln des Flusses Livenza errichtete Ortschaft durchziehen. Auch „Garten der Markusrepublik“ kann man gelegentlich lesen über den Ort im Hinterland von Lignano. Auch damit ist die Vedute gut beschrieben. Für Musikfreunde interessant: In Sacile hat die Klaviermanufaktur Fazioli ihren Firmensitz und einen Konzertsaal.
Von Wolfgang Stern
Camille Saint-Saens hat die Pianisten bekanntlich in seinen Carneval der Tiere eingeordnet. In Sacile finden sich die Klavierspieler auch mit Tieren in bester Gesellschaft. Sacile ist nämlich bekannt für die Sagra dei Osei („Vogelmesse“). Das ist vermutlich der Welt ältester Vogel-Verkaufsmarkt. Er findet seit über 700 Jahren statt, am ersten Sonntag nach Mariä Himmelfahrt (heuer am 20. Mai).
Die Klavierbauer und Pianisten sind entschieden weniger lange in dem Ort einen Katzensprung westlich von Pordenone: Seit 1981 gibt es die Manufaktur. Nicht, dass Paolo Fazioli die Karriere als Klavierbauer in die Wiege gelegt worden wäre. Er entstammt einer traditionsreichen Holzfabrikanten-Familie. MIM (Mobili Italiani Moderni) ist ein Begriff im italienischen Büromöbel-Design. Aber es war eben der Wunschtraum des jungen Paolo Fazioli, Klaviere zu bauen. Der in Rom geborene Unternehmer, Pianist und Ingenieur ließ seiner Leidenschaft freien Lauf und startete nach umfangreichen Studien und Aufenthalten bei diversen Klavierbauern 1981 in Sacile (wo das Familienunternehmen bis dahin Möbel in edlen Holzarten wie Teak, Mahagoni und Palisander produzierte, den eigenen Klavierbau. 1969 hatte Paolo Fazioli sein Ingenieurdiplom in Rom angelegt und 1971 sein Klavierdiplom am Conservatorio G. Rossini in Pesaro. In dieser Zeit betrieb er auch ein Kompositionsstudium bei Boris Porena an der Musikakademie Santa Cecilia. Paolo Fazioli war zuerst im Familienunternehmen, zunächst als Verantwortlicher der Produktionsplanung im Werk in Rom und später in Turin tätig. Zur Zeit baut man in Sacile jährlich rund 120 Flügel in der Größe von 156 bis 308 cm – das ist übrigens der längste Flügel, der derzeit weltweit erzeugt wird. Facioli-Klaviere haben vier Pedale, das vierte Pedal nähert die Reihe der Hämmer an die Saiten. Es ist also eine Technik zum leiser Spielen, wie sie bei Pianinos üblich ist.
Ein hübscher Kontrast zu den Villen- und Palast-Fassaden in Sacile, die dem Ruf „Kleinvenedig“ absolut entsprechen: Facioli hat 2001 ein hochmodernes, auch architektonisch bemerkenswertes Fabriksgebäude eröffnet. Und seit 2005 gibt es dort einen akustisch wohl ausgeloteten Konzertsaal mit 200 Plätzen. Das Jahr über machen hier viele nahmhafte Pianisten Station. Prominente „Facioli-Pianisten“ sind Markus Schirmer, Olli Mustonen, aber auch Herbie Hancock und Angela Hewitt.
Und das Herzstück der Klaviere, der Resonanzboden? Da tut es Paolo Fazioli seinem Landsmann Antonio Stradivari gleich. Auch der hat das Rotfichtenholz für seine Geigen in den Wäldern des Fleimstales holen lassen.