asdf
 

Brainstorming im „Russenhaus“

REISEKULTUR / MURNAU / DER BLAUE REITER

22/05/12 Vor 100 Jahren wurde im oberbayrischen Murnau „Der Blaue Reiter“ ausgebrütet. „Russenhaus“ heißt das Gebäude, in dem die Malerin Gabriele Münter mit ihrem geliebten „Russ“, Wassily Kandinsky, wohnte.

Von Hans Gärtner

Das „Russenhaus“ kennt jeder in Murnau. „Da rüber, des Bergerl nauf, dann seh`n s` es scho!“ Gleich zeigt sich der Bau nicht. Grün wucherndes Blattwerk hoher Laubbäume spannt den Fußgänger auf die Folter. Dann aber! Ein bunt blühendes Hanggärtchen schiebt das „Russenhaus“ ein wenig höher in den Maienhimmel. Sein Blau nimmt das Holz am weiß leuchtenden, biedermeierlich anmutenden Haus auf. Das also taufte der Volksmund „Russenhaus“: In das von der Malerin Gabriele Münter am 21. August 1909 erworbene Gebäude mit dem Blick auf Murnauer Schloss und Kirche war ja alsbald ein „Russ“ eingezogen, Wassily Kandinsky. Bis 1914 nützten es er und die von ihm angebetete Gabriele Münter als Liebesnest. Fern von München hatten sie es sich, mit selbst bemalten Möbeln und gesammelten Bildern, hübsch eingerichtet.

Gut, dass die Renovierung vor 12, 13 Jahren dem Charme des späten ländlichen Jugendstils nichts an originaler Ausstrahlung nahm. Als „Münter-Haus“ ging der Bau in die Kunstgeschichte ein. Gabriele Münter, zu deren Gedächtnis er in Schwung gehalten und heute als feines Museum geführt wird, bewohnte es mit ihrem späteren Lebensgefährten, dem Kunsthistoriker Johannes Eichner ab 1931 bis zu ihrem Tode 1962. Die betreuende Münchner Stiftung ist denn auch nach ihr und Eichner benannt.

Das „Münter-Haus“ ist die „Brutstätte“ des berühmten Almanachs „Der Blaue Reiter“. Franz Marc und Kandinsky hielten hier ihr Brainstorming über den Arbeitsplänen. Im Oktober kamen Elisabeth und August Macke hinzu, da hatte Kandinsky bereits elf Aquarell-Entwürfe für den Umschlag geschaffen. Einige Faksimile hängen im Entree. Die Kassendame rollt ein ausgewähltes Blatt, hält es mit Gummiringerl fest und nimmt 25 Euro dafür. Nicht zu viel für einen „Gebrauchs“-Kandinsky fürs Büro.

Von „langen Sitzungen mit Kunstdebatten, Aufrufen, Vorschlägen für die Vorworte“ berichtet uns  Mackes Gattin über die Entstehung des im Mai 1912 bei Piper erschienenen Almanachs. Es waren „unvergessliche Stunden, als jeder der Männer sein Manuskript ausarbeitete, feilte, änderte, wir Frauen es dann getreulich abschrieben“. Gelänge es dem Leser, vor dem Durchblättern „sich seiner Wünsche, seiner Gedanken, seiner Gefühle zeitweise zu entledigen“, würde „seine Seele viele Vibrationen erleben und in das Gebiet der Kunst eintreten“, schrieb Kandinsky.

Isabelle Jansen, die Stiftungskuratorin, schuf in den Räumen, in denen eins der wichtigsten Kunst-Programme des 20. Jahrhunderts ersonnen wurde und konkrete Form annahm, eine wunderbare, allein durch die authentische Nähe überzeugende, ja berührende Ausstellung. Mit schriftlichen Dokumenten zur Almanach-Entstehung. Vor allem aber, was dem Auge wohl tut und die „Blaue Reiterei“ unmittelbar auf den Betrachter einstürmen lässt: mit einer opulenten, überschaubar und vielfach am Original-Ort angebrachten Bilder-Flut. Viele volkstümlich-naive Blätter, altDruckgrafiken, Glasbilder, Votivtafeln, die Kandinsky mit Münter und Marc gesammelt hatte und im Almanach  verwendete, tapezieren die Wände der winzigen, engen Räume. Das teils unveröffentlichte Material erweitere den Almanach gewissermaßen, sagt Jansen, „und der Besucher erhält Einblick in den Arbeitsprozess der Redaktion. Parallel dazu ist zum ersten Mal ein großer Teil der privaten Sammlung von Wassily Kandinsky und Gabriele Münter mit Bildern aus verschiedenen Kulturkreisen zu sehen, die vorwiegend in ihrer Wohnung in der Münchner Ainmillerstraße hingen.“

Volkstümliches neben Exemplaren außereuropäischer Kunst – das macht deutlich: Kandinsky und Münter setzten, was sie für den Almanach wichtig ansahen, nämlich die „Gegenüberstellung von Bildzeugnissen aus unterschiedlichen Epochen und Kulturkreisen“, in ihrem privaten Alltag um. Ob in Schwabing oder eben, eine Bahnstunde südlich davon, in Murnau, einem der sehenswerten Hauptorte des liebevoll so genannten „Blauen Landes“.

Ausstellung „Die Blaue Reiterei stürmt voran“, Bildquellen für den Almanach Der Blaue Reiter. Die Sammlung W. und G. Münter, Münter-Haus, Kottmüllerallee 6, D-82418 Murnau. - www.muenter-stiftung.de
Touristische Informationen über Murnau und das Münter-Haus: www.murnau.de
Bilder: dpk-Gärtner

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014