Die Wollust weihnachtlichen Wohllauts
SOLITÄR / KLANGREISEN
14/12/12 Schlichte Weihnachtslieder sind die eine Variante. Die andere: harmonisch bis ins Letzte ausgereizte Sätze, rechte Ohrenkitzler, die aber dann doch im akustischen Gesamtbild eine Idylle pur ergeben: Dafür gab es wunderbare Beispiele jüngst im Konzert des Kammerchors der Universität Mozarteum.
Von Reinhard Kriechbaum
Brahms, der als Komponist mit dem “bürgerlichen” Chorwesen seiner Epoche auf Du-und-Du stand, hat sich für “O Heiland, reiß die Himmel auf” von Strophe zu Strophe verblüffende Ideen einfallen lassen. Es sind nicht nur Varianten von Strophe zu Strophe, sondern respektable “Charaktervariationen” eines Liedthemas. Zu was für exzessiver Chromatik holt der Chor da doch aus, wenn in Strophe vier von der “größten Not” die Rede ist! Übrigens ist diese üppige Weihnachtslied-Vertonung des 27jährigen Brahms auch ein Musterbeispiel für dessen erfindungsreichen Umgang mit dem Kontrapunkt.
Hugo Distler hat das gleiche Lied vertont, und wie es seine Art war, nutzte er einzelne Worte und Phrasen - in dem Fall etwa die “Herab, herab vom Himmel lauf“-Episode zu bravourös-koloristischem Ausmalen. An solchen Herausforderungen konnte der von Herbert Böck angeführt Kammerchor der Universität Mozarteum vorführen, dass ihm keine technische Finesse, keine vermeintlich schräge Harmoniewendung zu schwierig ist.
Der Kammerchor der Universität Mozarteum ist ja eine höchst erfreuliche Initiative. Wie Herbert Böck dem Publikum in seinen (insgesamt etwas “dozierend” geratenen) Einführungen auch erklärte, singen die meisten der Studenten ja gar nicht mehr weil sie müssen (weil Chor ja im Lauf ihrer Ausbildung auch ein Pflichtfach ist). Für sie ist das Chorsingen in der Herausforderung einer kleinen Gruppe längst nicht mehr Pflicht, sondern (freiwillige) Kür. Dieses Engagement hat das reichlich erschienene Publikum am Mittwoch (12.12.) im Solitär natürlich entsprechend honoriert.
Attraktiv war dieses Programm mit Gegenüberstellungen von Vertonungen gleicher Texte vor allem an Werken an der Schnittstelle zwischen Spätromantik und Moderne. “Es ist ein reis entsprungen” setzte der junge Alban Berg - natürlich noch nicht zwölftönig, sondern in einem luftig-duftigen Satz, der zwischen manierierter Harmonik (das will erst so fein intoniert sein wie von diesem Ensemble!) und doch melodischer Schlichtheit pendelt. Dieses Stück wird logischerweise kaum von einem Chor gesungen, auch Hugo Distlers “Es ist ein Ros entsprungen” nicht. Zu anspruchsvoll ist das für den weihnachtlichen Chor-Normalpegel.
Die Verbindung aus Chorsingen und Sologesang galt früher vielen Gesangslehrern als absolutes “No Go”. Diese Einstellung hat sich glücklicherweise bei vielen geändert. Also durften, bevor der Abend mit effektvollem Zeitgenössischem aus Schweden (Javier Busto, Sven-David Sandström) zu Ende ging, einige Chormitglieder Lieder singen, vom Klavier aus bestens geführt von Breda Zakotnig. Sie ist eine Stilistin, was Hugo Wolfs Liedkunst angeht, und wenn sie die Sänger in dessen Stil hineinführt, kann man sich auf eine ausgewogene Balance zwischen Sinnlichkeit und unprätentiösem Zugang verlassen. Das ist gerade bei den geistlichen Gesängen aus dem “Spanischen Liederbuch” eine Grundvoraussetzung., und die haben Simone Waldhart (Sopran), Isabell Czarnecki (Mezzosopran), Christian Giglmayr aufs Schönste erfüllt.