God bless Salzburg!
SALZBURGER JAZZHERBST / NINA HAGEN
29/10/12 Das wird ja vielen altgedienten Künstlern vorgeworfen – kaum nähert man sich dem sechzigsten Geburtstag, wird die E-Gitarre gegen die Lagerfeuer-Klampfe ausgetauscht, die Proben- Lautstärke auf Unter-Tinnitus-Level gedimmt und anstatt rotziger Texte meint man, dem Publikum seine Lebensweisheiten aufdrängen zu müssen.
Von Per Peterson
Die Tatsache, dass eine Punk-Diva ruhigere Töne veröffentlicht, wäre also noch lange kein Grund zum Freuen. Das dazugehörige Konzert schon. Nina Hagen gastierte am Samstag (27.10.) beim Salzburger Jazzherbst im Salzburg Congress. Wer aber von Grund auf authentisch ist, dem gelingt auch der Spagat von der TV-Glotzerin und „Ab jetzt schau ich regelmäßig den Club 2“-Quotenmacherin zur Ufologin und schließlich zur predigenden Jesus-Jüngerin.
„Personal Jesus“ heißt Nina Hagens vor zwei Jahren erschienenes Gospel-Album. Ein verwirrender Albumtitel – handelt es sich bei dem Depeche Mode-Klassiker, gecovert von Marilyn Manson und noch besser gecovert von Johnny Cash, doch um eine der geschliffensten Abrechnungen mit amerikanischen TV-Priestern à la Jimmy Swaggert. Aber Nina Hagen dreht den Spieß schnell um. Anstatt mit den Pharisäern aufzuräumen, zelebriert die 57jährige ihre Liebe zu Jesus in traditionellen Gospel- und Blues-Songs. Begleitet wurde Nina Hagen in klassischer Gospel-Besetzung von Piano, Bass und Westerngitarre und einem großartigen Backing-Chor der drei Mitmusiker.
Nina Hagen und Gospel? Sich neu zu erfinden bringt immer gewisse Gefahren der Glaubwürdigkeit mit sich. Predigen auch. Aber Nina Hagen erfindet sich gar nicht neu, sondern folgt offenbar ohne großes Marketing-Denken ihren musikalischen und spirituellen Bedürfnissen.
Eine bewundernswerte Gratwanderung: Ein bisschen Jazzherbst-Swing mit „The lady is a tramp“ und schon hört man die Glocken einer amerikanischen Kleinstadtkirche läuten. Da werden Amerikas Parade-Christen Elvis und Sister Rosetta Tharpe – Glory Halleluja! – ans Mikrophon geholt. „God´s Radar“, „I´ll live again“ , Down at the cross“ sprechen eine deutliche Sprache – es geht um die Errettung der Seele – und das mit vollem Herzblut, nach wie vor fantastischer Stimme und jeder Menge Solidaritätserklärungen.
Aber Nina Hagen ist eine Deutsch-Rockerin ohne Skrupel und wagt sich an die größten Peinlichkeiten der deutschsprachigen Musik-Unterhaltungswelt. Der Song ist tatsächlich nur die halbe Miete - während auf evangelikalen Fernsehsendern ähnliche deutschsprachige Songs eher zum Drücken der Fernbedienung denn zum Bibelstudium motivieren, schnippen bei Nina Hagens Interpretationen die Finger und man wundert sich, wie es möglich ist, dass ebendiese Jungschar-Lieder eine solche Qualität bekommen.
Und das alles in allem mit sogar ein wenig Celebration-Church-Feeling.