Überromantisch
CAMERATA / GRAŽINYT?-TYLA
24/09/12 Die ersten Abonnementkonzerte der Camerata Salzburg am Freitag und Sonntag (21.,23.9.) waren auch Anlass, sich vom Orchestermanager Lutz Hochstraate zu verabschieden. – Auf dem Podium: die Dirigentin Mirga Gražinyt?-Tyla und die Geigerin Arabella Steinbacher.
Von Horst Reischenböck
Erst jüngst gewann die junge Dirigentin aus Litauen – auch damals am Pult der Camerata - den „Young Conductors Award“ der Festspiele. Ausgangspunkt hoffentlich für fruchtbare weitere Zusammenarbeit. Diesmal hat Mirga Gražinyt?-Tyla ihre eigenständige Kompetenz in Sachen Romantik unter Beweis gestellt.
Zuerst mit dem D-Dur-Violinkonzert op. 77 von Johannes Brahms (der übrigens den Solopart mit dem Solisten der Uraufführung, Joseph Joachim, hier in Salzburg, in dessen Sommersitz im Stadtteil Aigen, wie er selbst sagte: „durchging“). Mirga Gražinyt?-Tyla machte kein Hehl darüber, dass sie an diesem Werk das Symphonische fesselt. Was schön ausmoduliert wurde, geriet mitunter ins Stocken, bis zu so sicherlich nicht gedachten Generalpausen. Das war Dramatik pur, die aber nur eine Facette des Werks ausmacht und, so breit ausgewalzt, gefahrvolle Länge in sich barg.
Auch Solistin Arabella Steinbacher übte sich vorerst in lyrischer Verhaltenheit, bis in ersterbende Schönheit hinein, mit der sie auch dem Adagio zart blühende Tupfen aufsetzte. Demgegenüber kontrastierte sie dann sehnig das Finale, bewusst kräftig akzentuiert. Auch hier wirkte die Orchester-Assistenz wieder mehr dem „ma non troppo vivace“ verpflichtet, wodurch bis in innerste Verästelungen hinein selbst kleinste Noten noch klar ausgespielt wurden. Was schließlich doch irgendwie abging, war ein Schuss Paprika, mit dem Brahms bewusst Joachims auch ungarischem Temperament Reverenz erwies.
Arabella Steinbacher verließ sich übrigens im Kopfsatz auf Joachims sozusagen „klassische“ Kadenz. Weitere Vorschläge haben ncht weniger als 14 Kollegen dafür gemacht. Jener von dem legendären Fritz Kreisler huldigte die Solistin dann im Alleingang noch mit Glissandi und Springbogen virtuos in einer begeistert aufgenommenen Zugabe.
Nach der Pause folgte Felix Mendelssohns Bartholdys „Schottische“ Symphonie a-Moll, op. 56. Düster, in gewissem Sinn auch durchaus nordisch – und das ist dem Energiebündel Mirga Gražinyt?-Tylas merklich entgegen gekommen. So, wie sie sich zusammen mit den blendend disponierten Holz- und Blechbläsern den sowohl dramatischen wie tragischen Momenten ergab, entfesselte sie temperamentvoll, energisch ein prachtvolles Klangfresko bis in den hymnischen Schluss hinein.