Wenn die Finger den Veitstanz kriegen
BACHGESELLSCHAFT / „LICHT UND SCHATTEN“
28/02/12 Monteverdi und Konsorten hatten soeben die Oper erfunden, da wollten die Instrumentalisten nicht nachstehen. Die musikalischen Floskeln, mit denen Sänger ihre Emotionen ausdrückten, haben sie gerne aufgegriffen. Dorothee Oberlinger und das "Ensemble 1700" im Solitär.
Von Reinhard Kriechbaum
„Licht und Schatten“ haben die Blockflötistin Dorothee Oberlinger, der Fagottist Sergio Azzolini und ihre Mitstreiter vom „Ensemble 1700“ dieses Programm genannt. Es könnte auch „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt““ oder so ähnlich heißen. Denn den Komponisten des Frühbarock in Italien ist es darum gegangen, die stärksten emotionalen Gegensätze auszudrücken. Dario Castello und Giovanni Battista Fontana sind beispielsweise zwei Protagonisten dieser Epoche: Weder beim einen noch beim anderen sollte man sich drauf verlassen, dass eine Melodie so zu Ende geht, wie man das nach den jeweils ersten paar Noten denkt. Plötzlich bekommen in langsamen Phrasen die Finger den Veitstanz, rasen Tonskalen auf- und abwärts. Nicht das Ausgewogene, die ebenmäßige Polyphonie ist das Thema, sondern der unmittelbare Ausdruck. „Seconda prattica“ hat Monteverdi das in Hinblick auf die Madrigalkomposition genannt; das Rezitativ war eine Erfindung der Zeit.
Programmierte Stimmungs-Wechselbäder also. Dazu passt gut, dass Komponisten des frühen 17. Jahrhunderts gerne ganz hohe und ganz tiefe Instrumente koppelten. Die Blockflöte, die ja eine Oktav höher klingt als es in den Noten steht, und das Fagott, das in seiner historischen Gestalt ein enges Rohr war und einen manchmal ungewohnt näselnden Klang gab, sind typische Protagonisten. Wenn die beiden „ins Gespräch“ kommen, ist Spannung programmiert. Und wenn die beiden Instrumente dann so „sprechend“ gespielt werden, kann man sich lustvoll auf Dispute sonder Zahl freuen.
Dorothee Oberlinger hat markante Musik dieser Epoche schon beispielhaft eloquent und fingerläufig auch auf CD vorgelegt. Sergio Azzolini ist ein ihr ebenbürtiger Musiker, ein kecker Bursche, der sein Fagott wie eine immer stichbereite Waffe vor sich herträgt und um launige Herausforderungen nie verlegen ist. Man könnte die Ohren zustöpseln und zöge aus dem Zusammenspiel der beiden schon optisch Gewinn.
Deutsche Komponisten – wenig bekannte Namen wie Philipp Friedrich Böddecker oder Philipp Friedrich Buchner – haben die Ideen ihrer italienischen Kollegen aufgegriffen und nicht minder beredt umgesetzt. Und sogar auf der Laute lässt sich solche Stimmungsmalerei auskosten, wie Axel Wolf in einer Toccata von Hieronymus Kapsberger illustrativ vorführte.
Nach solch überbordender Mitteilsamkeit aus den Jahren nach 1700 hört man Barockmusik, die gute hundert Jahre jünger ist, mit ganz anderen Ohren: Da zeigte das „Ensemble 1700“ (dem noch der Cellist Sebastian Hess und der Cembalist/Organist Alexander Puliaev angehören), dass man den Elan des Frühbarock gut und gerne mitnehmen kann zu Vivaldi, Telemann, Händel, Fasch.
Der Solitär war am Montag (27.2.) bis auf den letzten Platz ausverkauft und das Publikum der Bachgesellschaft hat diesmal aufs Anschaulichste hören dürfen, auf welch famosem technischen Niveau und mit welch inniger Beziehung zur „Klangrede“ sich Aufführungspraktiker unserer Tage bewegen. Im Bach-Zyklus erlebte man liebend gerne öfter solche Ausflüge ins unmittelbare Heute der Alten Musik.