Die ungewisse Traurigkeit
FESTIVAL WØD- WEINBERG / MARGULIS TRIO
28/10/24 Inhaltlich scheint das kleine Festival im Orchesterhaus mit dem etwas umständlichen Namen WØD-Weinberg ein wenig zu taumeln. Musikalische Begegnungen mit Musik aus dem Nahen und Fernen Osten, dazu eine Prise aus dem Schaffen Mieczysław Weinberg. Wie geht das zusammen?
Von Reinhard Kriechbaum
Die Frage ist wohl ganz falsch gestellt, möglicherweise soll das ja gar nicht zusammengehen, sondern vor allem vier Tage lang Eindrücke vermitteln, die man eben so unterm Jahr nicht bekommt. Weinberg ist die Würze dabei – von dem kann man, seit allüberall seine Partituren nicht nur wiederentdeckt, sondern mit ziemlich garantiertem Publikumserfolg auch gespielt werden, sowieso nicht genug kriegen. Leider nur ein Stück vom Festival-Namensgeber heuer, am Freitagabend (25.10.) im Konzert des Trio Margulis.
Kann man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben? Das Poem, wie Weinberg den langsamen Satz seines Klaviertrios a-Moll op. 24 überschrieben hat, gibt möglicherweise eine Antwort. Das Werk ist 1945 entstanden. Der Komponist – aus Polen in die Sowjetunion emigriert – „hatte damals noch keine Gewissheit über die Ermordung seiner Familie im Holocaust, aber er ahnte das Schreckliche wohl“, schreibt Gottfried Franz Kasparek im Programmheft.
Gibt es ähnlich Vorahnungsvolleres in der Kammermusikliteratur genau dieses Jahres, dieser Monate der Ungewissheit? Danach zu suchen wäre vielleicht Thema für ein eigenes Festival. Das eindringliche Poem jedenfalls, eine Trauer und Melancholie bis in jede Faser greifende Musik, ist packend bis zum lange, lange ausgehaltenen letzten Violinton, der alleine stehen bleibt. Eine Ton-Dichtung mit Gänsehauteffekt, die vom Trio Margulis hoch konzentriert, aber auch ohne Effekthascherei umgesetzt wurde.
Man darf, ohne die Leistung der Ausführenden zu schmälern, auch sagen: Dieses Klaviertrio von Mieczysław Weinberg ist Musik, die für sich selber spricht. Im Panorama der vier Sätze ist das Poem ja nur eine Facette, eine Stimmung, die freilich auch im fast gewalttätig anhebenden, sich aber dann zur Elegie wandelnden ersten Satz ebenso anklingt wie im Finale. Weinberg hat nicht gebrochen mit dem Alten, weder in der Tonalität noch in der Form. Die Toccata (zweiter Satz) könnte man ein dämonisch-aufsässiges Scherzo nennen. Interessant, wie der Komponist die Instrumente einsetzt. In allen vier Sätzen ist Platz für solistische Abschnitte, auch für längere Duo-Episoden, die sich dann eben zum Trio verdichten.
Es drängt sich auf, in einem Konzert mit diesem Stück auch etwas von dem wesensverwandten (und mit Weinberg auch gut befreundeten) Dmitri Schostakowitsch zu programmieren. Dessen 4 Preludes aus op. 34, ursprünglich Klavierwerke, hat der Moskauer Geiger Dimitri Tsyganow zum erklärten Wohlgefallen von Schostakowitsch für Violine und Klavier gesetzt: Dem kraftvollen Neoklassizismus haben sich Akissa und Jura Margulis mit Sinn für die Motorik und die heftigen rhythmischen Akzente gestellt.
Auch ein Kraut-und-Rüben-Programm wie an diesem Abend kann seinen Reiz haben, wenn man dadurch mit der Nase auf Ausgefallenes gestoßen wird. Robert Schumann hat zur ausufernden Chaconne aus Bachs Violinpartita BWV 1004 eine Klavierbegleitung hinzu komponiert – eine Idee, die man heutzutage wohl in die Kategorie Gotteslästerung einordnen würde. Übergroßer Respekt vor dem Originalkunstwerk ist eben eine Erfindung neuerer Zeit. Und Schumann hat sich doch respektvoll und feinfühlig hineingedacht ins Bach-Opus, hat das Klavier die vielen Doppelgriffpassagen der Violine unaufdringlich konturieren lassen, dann wieder in lyrischen Teilen eins draufgesetzt mit feinen Umspielungen. Gut, das mal gehört zu haben, so wie Tschaikowskys Klavierstück Dumka op. 59, in dem der Komponist einen etwas behäbigen ukrainischen Volkstanz virtuos aufbrezelt.