Ein „Kreuzworträtsel“ der Superklasse
CD-KRITIK / GESUALDO DA VENOSA
30/10/13 Die Flammen des Heiligen Geistes, wie sie über die Apostel gekommen sind: Die kann man wohl züngeln hören, wenn einer wie der als Madrigalist so wagemutige Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, vom Pfingstwunder berichtet.
Von Reinhard Kriechbaum
Nicht weniger hitzig geht es zu, wenn das Herz eines Gottsuchers aufs Wort „ardens“ lodert wie von einem Blasbalg angestachelt. Keine Frage, dass man das Schluchzen ebenso gut heraushört, wenn dieser Madrigalist vom Weinen eines Betenden oder den Tränen seiner Reue erzählt. Angeblich rechnet Carlo Gesualdo da Venosa (1560-1613) ja zu den harmonisch unberechenbarsten Meistern des musikalischen Manierismus.
Unberechenbar? Da ist der Komponist, Dirigent und Musikwissenschafter James Wood nach Jahren intensivster Gesualdo-Analysen zu einem erstaunlich anderen Ergebnis gekommen: Der madrigaleske Stil des Gesualdo, so seine Conclusio, sei keineswegs so willkürlich, wie er oft beschrieben wird. Ein stringentes Regelwerk glaubt James Wood erkannt zu haben – und genau diese Einsichten wandte er an, um im 400. Todesjahr Gesualdos mit der Erstaufnahme einer Gesualdo-Rekonstruktion aufzuwarten, dem „Sacrae Cantiones Liber secundus“. Im Gegensatz zu des fünfstimmigen „Sacrae cantiones“ und den berühmten Responsorien für die Karwoche ist nämlich die mittlere der drei Sammlungen von Gesualdos geistlicher Musik, nicht vollständig auf uns gekommen: Zwei Stimmbücher der 1603 veröffentlichten, meist sechs-, gelegentlich auch siebenstimmigen Gesänge sind verloren gegangen. Mit dieser Rekonstruktion werden sie also wieder aufführbar. Als ein „überdimensionales Kreuzworträtsel“ beschreibt James Wood seine Restaurierende Arbeit.
Nicht zuletzt richtet James Wood in der praktischen Umsetzung seiner Gesualdo-Exegesen seine Ohren auf Fragen der Stimmung: Die Sängerinnen und Sänger des Vocalconsorts Berlin hat er angehalten, durch Alterationen entstandene Reibungen nicht auszugleichen, sondern wie auf einem mitteltönig gestimmten Instrument als Farbe auszukosten – mit Augenmaß freilich, so wie Woods auch mit dynamischen Kontrasten durchwegs vorsichtig umgeht. Das Ausreizen einzelner Wörter, die harmonischen Überraschungen, vor allem auch der oft schier unglaublich anmutende Enge kontrapunktische Satz (die Stimmen setzen nicht selten in Viertelnoten-Abstand ein) ist ja Effekt genug, da muss man nicht noch mit Crescendi eins draufsetzen.