Töne aus Luthers römischer „Hölle“
CD-KRITIK / CONCERTO ROMANO
18/07/13 „A ‘soundtrack’ to Luther’s stay in Rome“ untertitelt Alessandro Quarta dieses reizvolle Musikprojekt. Das Wort Sondtrack darf man vielleicht wörtlich nehmen, denn Luther mag sich damals, im Rom des Jahres 1511, tatsächlich wie im Film vorgekommen sein. Vielleicht sogar im falschen.
Von Reinhard Kriechbaum
„Waren zusammen im heiligen Rom, haben alle Kolosseen gesehen, sämtliche Ablässe wurden uns gewährt, jetzt ist die Vergebung erreicht, ein Almosen, vergelt’s Gott.“ Der Textdichter der Frottola „Charitate amore Dei“ schüttet unverhohlener Spott auf den Sakro-Tourismus seiner Zeit, indem er „arme Deutsche im Elend“ betteln lässt. Sollte Luther bei seinem Rom-Aufenthalt tatsächlich ein Stück wie dieses gehört haben – dann war’s wohl gut, dass er als junger Augustinermönch eine Tonsur trug. Es hätte ihm womöglich die Haare aufgestellt.
Der italienische Dirigent und Musikwissenschafter Alessandro Quarta schickt die Vokalisten von „Concerto Romano“ in diesem Stück mit entsprechend herbem Sound ins Rennen, sie dürfen loslegen wie italienische Bänkelsänger, leicht schnarrend und draufgängerisch. Tönender Sarkasmus! „Eine Hölle auf Erden“, äußerte sich Luther im Nachhinein über seinen Rom-Aufenthalt. Es war das einzige Mal übrigens, dass der spätere Reformator rausgekommen ist aus seiner engeren Heimat.
Einprägsam, wie die Sänger und Instrumentalisten von „Concerto Romano“ unterschiedliche musikalische Idiome umsetzen. Da wirken die Posaunen einmal, etwa im Kyrie einer Messe von Petrus Roselli, sakral feierlich, um gleich drauf in Formen wie Frottola oder Lauda für einen ganz weltlichen Touch zu sorgen. Immer wieder überrascht es, wie im Prinzip gleiche Klangfarben – Flöten und Posaunen, Laute oder Gitarre – gleichsam von einer musikalischen Sozial-Ebene in die andere rutschen. Man switcht zwischen geistlich und weltlich, zwischen poetisch und karikierend. Bei diesem reizvollen Hin und Her spielt natürlich der jeweils angepasste Vokalstil der Sängergruppe eine große Rolle. Wäre es denkbar, dass damals Vokalisten, die zu gegebenem Anlass Motetten von Josquin Desprez oder Costanzo Festa gesungen haben, an der Kirchentür zu deftigen Volksmusikanten verwandelten? So selbstverständlich, wie es die „Concerto Romano“-Crew macht, mag das tatsächlich auch vor fünfhundert Jahren funktioniert haben.
Köstlich Michele Pesentis „Che faralla, che diralla“, in dem ein junger Mann berichtet, warum er Mönch geworden ist: „Als mir klar wurde, dass ich sie nicht mehr haben kann…“. Eben diese junge Dame in einem anderen Lied: „Jetzt will ich ledig bleiben und werde doch am besten Nonne, denn er ist Mönch geworden.“ Geistliche Berufung in frühen 16. Jahrhundert!
„Io son Giesú“, eine Lauda (ein geistliches Volkslied des Spätmittelalters), lässt Alessandro Quarta fast wie einen protestantischen Choral musizieren – wie echte Zukunftsmusik also. Oh ja, Luther könnte aus seiner römischen „Hölle“ auch Befruchtendes mitgenommen haben.