Ein tönender Barock-Poster
CD-KRITIK / BIBER, ROSENKRANZSONATEN
28/03/13 Man wird neugierig, wenn man das Cover der Doppel-CD mit Heinrich Ignaz Franz Bibers Rosenkranzsonaten aufklappt und außer dem Booklet noch ein Faltblatt entdeckt: So also hat ein Poster im Barock ausgesehen.
Von Horst Reischenböck
Der Sacro-Popstar, dem da gehuldigt wird, ist die Gottesmutter Maria. Es ist eine Kopie des Rosenkranz-Bruderschaftsblattes, das erst vor vier Jahren im erzbischöflichen Konsistorialarchiv entdeckt wurde. Urheber war der damalige Salzburger Oberhirte Max Gandolph. Der dritte und letzte Fürsterzbischof aus dem Geschlecht derer von Kuenburg war ein großer Verehrer der Rosenkranzmysterien und Mitglied von deren Bruderschaft. Davon künden nicht zuletzt die Fresken der Großen Aula in der alten Universität, die damals auch als Sakralraum genutzt wurde. Er war es auch, der dem Dechanten des Salzburger Domkapitels, dem Bischof von Olmütz, den Geiger Heinrich Ignaz Franz Biber abgeworben hat.
Seinem neuen Dienstherrn widmete Biber den Zyklus seiner Rosenkranz-Sonaten, für seine „mit vier Saiten bespannte und in 15-fachem Wechsel gestimmte Leier“ komponiert. Mit dem Wechsel spricht der Komponist den Trick an, die Saiten immer wieder umzustimmen. „Skordatur“ nennt man das im Fachterminus, von „dis cordare“, also dem bewussten Verstimmen. Die unterschiedliche Spannung der Saiten bedingt klangliche Besonderheiten, und die Skordatur ermöglichte auch Doppelgriffe, die bei gewöhnlicher Stimmung der vier Geigensaiten nicht möglich wären. Die Skordatur-Technik trieb Biber, den Paul Hindemith einst als „Deutschlands bedeutendster Geiger vor Johann Sebastian Bach“ bezeichnete, auf die Spitze.
Die fünfzehn Sonaten sind in drei Gruppen geteilt und thematisch jeweils dem freudenreichen, den schmerzhaften und den glorreichen Rosenkranz zugeordnet (leider ein Fehler im Booklett, da ist zwei Mal vom „freudenreichen“ die Rede): „Sonaten, Präludien, Allemandes, Courentes, Sarabandes, Airs, Ciaconas, Variationen“ heißt es in der Vorrede – also all die Formen, in denen man damals auch die geigerische Spitzenkunst nördlich der Alpen auslebte.
Seit 1962 sind mehr als zwei Dutzend Einspielungen von Heinrich Ignaz Franz Bibers populärstem Werk, den Rosenkranzsonaten, erschienen. Die jüngste steuert die Geigerin Annegret Siedel bei, mit instrumentalen Mitstreitern von „Bell‘Arte Salzburg, Michael Freimuth (Theorbe), Hermann Hickethier (Gambe, Violone) und Margit Schultheiß (Orgel, Barockharfe, Cembalo). Die Mitglieder dieses Ensembles stammen zwar alle nicht aus Salzburg, fühlen sich aber speziell der Salzburger Hofmusik verpflichtet. Das haben sie auch in früheren, um die lokale Musikgeschichte verdienstvollen Aufnahmen mehrfach bewiesen.
Bislang gab es aus Salzburger Händen nur eine Aufnahme, unter anderem mit dem Mozarteum-Professor Ernst Kubitschek am Orgelpositiv, der auch die Einleitung zur Faksimile-Ausgabe des Exemplars in der der Bayerischen Staatsbibliothek München verfasste.
Faszinierend, ja gleichsam überrumpelnd, der sowohl verinnerlicht wie klangsinnliche Einstieg Annegret Siedels in diese herausfordernde Werkfolge. Bravourös hält sie die Balance zwischen Mystik und affektbetonter Virtuosität bis in die den Zyklus abschließende, berühmte Solo-Passacaglia hinein. Nicht minder perfekt, aber nie aufdringlich assistiert die klanglich abwechslungsreiche Continuo-Gruppe.
Annegret Siedel beschäftigt sich schon lange mit Bibers Rosenkranz-Sonaten, vor Jahren hat sie eine Auswahl einmal im Salzburger Dom – von einer Vierungsempore herab – hören lassen. Als sie sich in der Petrikirche Freiberg, dort nur von der Silbermann-Orgel begleitet, den Sonaten XI bis XV widmete, hat sie sich fünf verschiedener Violinen bedient. Auf dieser Doppel-CD sind es gar acht Originalinstrumente: Drei Geigen baute Jacob Stainer (mit dem Biber selbst in Kontakt stand), die anderen von den nicht zuletzt durch Stainer beeinflussten Instrumentenbauern Leonhard Maussiell, Leopold Widmann, David Gabriel Buchstetter, Gregor Ferdinand Wenger, Andreas Jaiss sowie Georg und Michael Klotz. All diese Instrumente sind abgebildet, wie überhaupt im Beiheft vieles beispielhaft dokumentiert ist.
Die Rosenkranz-Sonatenhaben folgen einem spirituellen Programm, aber man darf sie genauso gut als „absolute“ Musik. Die Klangrede ist ihnen eingeschrieben, aber es braucht nicht unbedingt der Kenntnis der Vorlagen. Jene Medaillons, die einer „Biblia pauperum“ ähnlich auf dem beiligenden Bruderschaftsblatt abgebildet sind, hat Heinrich Ignaz Franz Biber übrigens auch selbst seinen Sonaten vorangestellt.
Heinrich Ignaz Franz Biber: Rosenkranz-Sonaten für Violine und Basso continuo. Annegret Siedel (Violine), Bell’arte Salzburg. BERLIN Classics 2 CDs 0300531BC - www.bellartesalzburg.de, www.edel.com
Die geigerin Annegret Siedel über Bibers Rosenkranzsonaten: www.youtube.com