Auf der Höhe der Meisterschaft
CD-KRITIK / FRIEDRICH CERHA
12/10/12 Zwei neue CDs dokumentieren Kammermusik Friedrich Cerhas aus den beiden letzten Jahrzehnten. So erfühlt, erfüllt und zeitlos schön kann neue Musik sein. Beide Aufnahmen sind Schmuckstücke jeder Sammlung großer Kammermusik.
Von Paul Kornbeck
Mitunter ist schon von einer „dritten Wiener Schule“ die Rede, die als solche natürlich genauso fragwürdig ist wie die erste, klassische – die zweite, die Schönberg-Schule, war ja noch am ehesten eine solche. Tatsache ist, dass Komponisten wie Kurt Schwertsik, HK Gruber und eben der Doyen Friedrich Cerha für eine musikalische Ästhetik stehen, welche die große Tradition vornehmlich der beiden ersten „Schulen“ nicht verleugnet, im vermeintlich Alten aufregend Neues findet und Parameter wie Melodie und Rhythmus nicht verachtet. Zweifellos gibt es diesen Zugang auch anderswo - man denke bloß an den US-Minimalismus von Glass, Adams und Co. oder an die östliche Spiritualität eines Pärt oder Kancheli -, aber in den Stücken der Komponisten aus Wien spielt eine Sensibilität des Klangs mit, auch eine gewisse Leichtigkeit mit oft abgrundtief doppeltem Boden, welche man von Schubert oder Berg kennt, von Wienern also.
Cerhas 3. und 4. Streichquartett und die 8 Stücke nach Hölderlin-Fragmenten sind soeben bei NEOS als Live-Mitschnitte aus Salzburg erschienen. Die Biennale 2011 und noch mehr die Aspekte 2012 haben sich ja intensiv auch mit Cerhas Musik auseinandergesetzt. Beide Male war das stadler quartett zur Stelle, im Sextettfall trefflich ergänzt von der Bratscherin Ulrike Jaeger und dem Cellisten Sebestyén Ludmány. Wie feinfühlig, wie exakt artikuliert, aber auch in welch luzider Klarheit Frank Stadler, Iszo Bajusz, Predrag Katanic und Peter Sigl diese kostbaren Stücke zum Klingen bringen, ist einfach Weltklasse. Die vielfältigen Momentaufnahmen des dritten Quartetts von 1991/92, die im besten Sinne romantischen und doch immer unerwarteten Überraschungen im großen Bogen des pausenlosen vierten von 2001, die berührende Tiefe der Hölderlin-Fragmente von 1995 zeigen einen Meister auf der absoluten Höhe seiner Meisterschaft. Und wie Cerha im Sextett-Finale die sonst bestimmenden tonalen Zentren verlässt und einen an die epochalen „Spiegel“ seiner Jugend gemahnenden, in sich ruhenden Zauber der Töne entfaltet, ist ein Beweis dafür, dass der Begriff „Schönheit“ in der Musik noch lange nicht tot ist – so schwer er auch zu fassen ist.
Ebenfalls bei NEOS erschien Cerhas Kammermusik mit Klarinette, aufgenommen in Mürzzuschlag. Andreas Schablas hat die Stücke auch in Salzburg bei den Aspekten interpretiert. Wenn Cerha schreibt, beim Komponieren der Acht Bagatellen für Klarinette und Klavier, dem jugendfrischen Zyklus eines 83jährigen von 2009, habe er den „edlen Ton“ des Andreas Schablas im Ohr gehabt, so wird der Klarinettist dem vollauf gerecht. Zum Edlen kommen bei Schablas wundersame Wärme des Ausdrucks, nicht merkbare und eben deswegen sensationelle technische Perfektion und in jedem Ton spürbare Liebe zu dieser Musik zwischen pfiffiger Virtuosität und tiefer Trauer etwa in der „Klezmeriana“. Die Pianistin Janna Polyzoides ist mit glasklarem Anschlag eine ebenbürtige Partnerin, auch in den ursprünglich Heinrich Schiff gewidmeten, nun von Erich Oskar Huetter am Cello mit Verve und Gefühl interpretierten 5 Stücken für Klarinette, Cello und Klavier aus dem Jahr 2000.
Dazu kommt auf dieser CD das Klarinettenquintett von 2004 mit dem fulminanten Hugo Wolf Quartett, ein Werk, welches Cerha selbst als sein „klassischestes“ bezeichnet, den Spuren Mozarts und Haydns folgend, durchaus musikantisch fokussiert, im zentralen langsamen Satz voll größter emotionaler Kraft.