… aber Soli
CD-BESPRECHUNG / HAYDN … OUT OF HAINBURG
09/10/12 Fast fünfzehn Minuten! Wo in der katholischen Liturgie fände heutzutage eine solche Arie noch Platz? So lange dauert Johann Michael Haydns für die Passions- und Fastenzeit geeignete Arie „Ah! Jesu recipe“.
Von Reinhard Kriechbaum
Es ist ein Stück, in dem die solistisch eingesetzte Orgel eine mindestens so wichtige Funktion hat wie die Sopranstimme. Man fühlt sich im leichtfüßig-konzertanten Duktus dieses Werks an Mozarts Kirchensonaten erinnert, und auch qualitativ wird man kaum einen Unterschied feststellen können. Kürzlich erst – am 14. September – hat sich der Geburtstag des in Salzburg wirkenden Haydn-Bruders zum 275. Mal gejährt: sehr maßvoll gefeiert am Ort, überall sonst ziemlich sang- und klanglos übergangen.
Auf der CD „Haydn … out of Hainburg“ stehen dieses Stück sowie ein im Gregorianischen Choral gesungenes Magnificat mit auflockernden Orgel-Versetten für die Kompositions-Meisterschaft, wie sie damals einem am fürsterzbischöflichen Hof in Salzburg tätigen Musiker wohl anstand. Barbara Fink singt die Arie mit unprätentiöser Schlichtheit.
„Out of Hainburg“? Es geht um jenen Knackpunkt in der Biographie der Haydn Brüder, die den Söhnen eines Wagners in Rohrau ein Fort- und Wegkommen brachte. Ein gewisser Johann Matthias Franck, entfernter Verwandter der Haydns, war in Hainburg (einem Ort in der Donau-Pampa kurz vor Bratislava) Schuldirektor und Regens chori. Er war, zufällig, befreundet mit dem damaligen Wiener Hofkapellmeister Johann Georg Reutter. Der wurde bei einem Besuch in Hainburg aufmerksam auf den achtjährigen Joseph Haydn, der fortan als Domkapellknabe am Wiener Stephansdom die entscheidende Ausbildung zum Berufsmusiker bekam. Sein fünf Jahre jüngerer Bruder Johann Michael – der spätere „Salzburger“ Haydn – nahm denselben Bildungsweg.
Der österreichische Organist Anton Holzapfel und Florian Wieninger, der das damals in der Kirchenmusik des süddeutsch-österreichischen Raums unverzichtbare „Bassettl“ spielt, haben Musik zusammengestellt, wie sie damals geläufig war in der Kirchen-Praxis. Dazu gehörte, dass sich die Organisten solistisch profilierten, dass ihnen also der liturgische Raum auch zum willkommenen Konzertraum wurde. Ein höchst anschauliches Beispiel dafür: Joseph Haydns „Salve Regina“ Hob. XXIIIb:2. Fast 22 Minuten dauert dieses vorwiegend in langsamen Tempi gehaltene Stück, das trotzdem die Ohren kitzelt. Was steckt da nicht alles an Erfindung drin in der Komposition für vier Vokalstimmen, Streicher und die immer wieder zu konzertanten Höhenflügen ansetzende Orgel.
Johann Georg Reutters Orgelkonzert F-Dur ist eine Ersteinspielung. Die Noten ruhten in der Österreichischen Nationalbibliothek, als Concerto per il Clavicembalo. So sah der Komponist wohl mehr Verbreitungsmöglichkeit. Der Umfang der Solostimme weist aber auf ein originales Orgelkonzert hin. Mit feinem „Drive“ musizieren der luzid phrasierende Anton Holzapfel und der die Soli immer auch am Bass stützende Florian Wieninger dieses heiter-musikantische Stück.
Mit dem Zusatz „ma Soli“ hat Joseph Haydn sein Salve Regina eigens versehen, und das ist auf dieser Einspielung mit dem Originalklangensemble „dolce risonanza“ konsequent durchgehalten: Die Aufnahme lebt davon, dass keine orchestrale Verdickung dem munt’ren Konzertieren der Orgel entgegen steht.