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Cage unterm Christbaum? Aber ja!

CD-KRITIK / CAGE

23/12/11 Die Zyklen „Six Melodies“ aus 1950 und „Thirteen Harmonies“ aus 1985 gehören zu den „lieblichsten“ Werken der Zeitgenössischen Musik überhaupt - und sind doch echter Cage. Prägnant, humorvoll und - in diesem Fall - voll Wohlklang. Annelie Gahl, Violine, und Klaus Lang, Keyboard, haben die Pretiosen für Col Legno eingespielt.

Von Heidemarie Klabacher

Warum diese Stücke für Violine und ein Tasteninstrument nicht viel öfter gespielt werden auf Festivals Zeitgenössischer Musik? Vielleicht, weil der alte Cage auf seiner Wolke im Komponistenhimmel die jungen Kollegen auf Erden gar zu alt aussehen lassen würde - in ihren leider oft so verbiesterten und bierernsten Bemühungen um Innovation und die x-te Revolution auf Computer und Notenpapier.

Cage „spielt“ einfach. 1985 nicht weniger als 1950: mit konventionellem Tonmaterial, unpräparierten Instrumenten und konventioneller Spieltechnik. Saiten werden mit dem Bogen gestrichen (nicht gehämmert oder getrommelt) - leise und zart. Tasten werden mit den Fingern (nicht mit Ellbogen oder Brettern) angeschlagen - behutsam und liebevoll.

Auf dieser überirdisch schönen Einspielung von Annelie Gahl, Violine, und Klaus Lang, Keyboard, sind die beiden Zyklen ineinander verwoben. Die „Six Melodies“ sind 1950 entstanden, „als John Cage sich philosophisch dem Orient zugewandt hatte und nicht zuletzt die Frage nach Tönen, der Stille und der Zeit zu beantworten suchte“, schreibt Markus Hennerfeind im Booklett.

Die „Melodies“ wirken ein wenig „handfester“ im Ausgangsmaterial, sind manchmal auch etwas bewegter, als die irisierenden „Harmonies“.

Die „Thirteen Harmonies“ sind eine Auswahl aus dem Cage-Werk „Apartment House 1776“, das aus insgesamt 44 Harmonies besteht. Der Geiger Roger Zahab hat 1985 mit dem Einverständnis von John Cage 13 Harmonies ausgewählt und für Violine und Keyboard bearbeitet. („Apartment House 1776“ hat Cage 1976 anlässlich des 200-Jahr-Jubliäums der amerikanischen Unabhängigkeit geschrieben.)

Jedes der Stücke basiert auf einem alten Kirchenlied der protestantischen Ostküste aus dem 18. Jahrhundert. Einfachen Stücken von längst vergessenen Komponisten, die aber alle bereits im jungen Amerika geboren worden waren. Diese Hymnen, Gemeindelieder und Choräle „zerlegte“ Cage und verwendete kleinste Motive oder Melodiefetzen. Jede „Harmony“ basiert auf einem anderen Lied.

Cage hat alles traditionell notiert, lässt traditionell spielen. Aber die „Pausen“, das „Metrum“ sind ganz den Interpreten überlassen. Annelie Gahl und Klaus Lang widmen der Stille und dem Klang die jeweils gleiche behutsame Aufmerksamkeit. Daher rührt nicht zuletzt das überirdisch Schwebende dieser Interpretation.

Ein Apercü auf der knall-orangen CD im blitz-blauen Cover: Textminiaturen von Heinz Janisch darüber, wie der junge und der alte Cage mit der Stille spielen:

„Little John sitzt in seinem Zimmer. Er baut ein Haus. Mit Bausteinen.
Im Haus wohnt die Stille. Und die Bausteine sieht man nicht.“

John Cage: Melodies & Harmonies. Annelie Gahl, Violine, und Klaus Lang, Keyboard/Fender Rhodes. Col Legno contemporary WWE 1 CD 20292. - www.col-legno.com

 

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