Blicke mir in die Lieder
CD-KRITIK / HOLZMAYR / RYAN / MAHLER ALBUM
22/12/11 „Der unintelligente Sänger bringt die Töne ohne Artikulation, trägt sie nur klanglich vor, ohne Gedanken an den Text und somit auch ohne Verständnis für diesen.“ So Gustav Mahler. „Der intelligente Sänger gestaltet, bringt den Ton vom Wort aus und gibt ihm dadurch Inhalt und Seele, die sich jedem mitteilt.“ - Einer der intelligentesten Sänger im Sinne Mahlers ist der Bariton Wolfgang Holzmair.
Von Heidemarie Klabacher
Sein Weg mit Mahler habe schon während seiner Gesangsausbildung begonnen, „seltsamerweise“ habe er aber erst im November 2011 seinen ersten reinen Mahler-Liederabend gegeben, schreibt Wolfgang Holzmair im Booklett. Auch in seiner - vierzig Solo-CDs umfassenden - Diskographie habe der Name Mahler bislang gefehlt. Eine Lücke, die Holzmair nun in überwältigender Weise geschlossen hat.
Überwältigend in stimmlicher Hinsicht: Wolfgang Holzmair erweist sich einmal mehr als Anwalt des Komponisten und des Dichters, als Interpret, der sich ganz in den Dienst des Werks stellt: mit größtem Verständnis und technischer Perfektion bei gleichzeitig größter Zurückhaltung und Schlichtheit. Da ist kein Effekt zu dick aufgetragen. Kein Forte „gemacht“, kein piano „gewollt“.
Die „Kindertotenlieder“ auf dieser Aufnahme gehören zu den bewegendsten erschütterndsten Interpretationen, die ich bislang gehört habe. Erstarrt wirkt der Sänger - wie eingefroren in einem Schutzblock aus Eis - der wie in Trance berichtet, vom Unglück, „das heute Nacht geschehn“. Von Zurückhaltung und Understatement geprägt sind aber auch die hochemotionalen „Rückertlieder“.
„Liebst du um Schönheit“, „Liebst du um Jugend“, „Liebst du um Schätze“ fragen die Strophen des ersten Liedes. Und wie „groß“ kommen in vielen Interpretationen die Schlüsselwörter daher. Wo selbst große Sänger nicht immer der Verlockung widerstehen, sich ins Schaufenster zu stellen mitsamt ihrem Wohlklang, zieht Wolfganz Holzmair sich zurück. Das kleine "Weniger" an Effekt ergibt ein großes "Mehr" an Wahrhaftigkeit.
„Um Mitternacht“ ist es Zeit, endlich auch den Pianisten zu erwähnen. Russel Ryan lässt die Klaviertöne wie Sterne glänzen (selbst wenn 'grad kein Stern vom Sterngewimmel lacht). Auch in diesem Stück verzichten die beiden Künstler auf alles Pathos. Das Lied wird zur Hymne an einen strengen aber gnädigen Gott. Doch wie lieblich ist das Lied vom Duft der Linde… So könnte man Lied für Lied durchgehen, Crescendi beschreiben und Decrescendi, mit denen der Klang der Welt einfach abhanden kommt.
Aber nicht nur musikalisch ist das Mahler Album Holzmair/Ryan ein Meilenstein, auch inhaltlich: Aufgenommen wurden die vier „Lieder eines Fahrenden Gesellen“, die fünf „Rückert Lieder“, die fünf „Kindertotenlieder“ (in der von Mahler autorisierten Klavierfassung), dazu sieben eher unbekanntere, bwz. seltener gesungene „Frühe Lieder“ und - als Welt-Premiere - zwei Fragment gebliebene Lieder Mahles auf Heine-Texte. Die Autographe dieser Entwürfe seien ihm in New York in der Morgan Library gezeigt worden, als er die Autographen der „Winterreise“ und der „Kindertotenlieder“ einsehen wollte. Deren Kopien führten in seinem Notenbestand „ein Schattendasein“. Nun sind diese ganz frühen, noch sehr „wagnerisch“ daherkommenden Liedskizzen erstmals zugänglich.
Ein echter „Lückenschluss“, der hilft, die Entwicklung Mahlers zum eigenständigen Liedkomponisten nachzuvollziehen, ist der von Holzmair zusammengestellte Zyklus „Früher Lieder“, mit dem die Einspielung beginnt. Dazu Wolfgang Holzmair: „Einen guten Überblick über das Liedwerk gewinnt man bei insgesamt ‚nur’ 46 Liedern ja relativ schnell. … Da ich in der vorliegenden Aufnahme ‚Das Lied von der Erde’ und alle ‚Wunderhorn-Vertonungen völlig ausspare, blieben von den vierzehn frühen Liedern diejenigen fünf auf Texte von Leander, de Molina und Mahler selbst übrig, denen ich noch ‚Winterlied’ und ‚Im Lenz’ voranstellte, zwei Lieder des 20jährigen Mahler.“
Ein Wunsch an Holzmair bleibt offen: eine Aufnahme mit Lied von der Erde (Klavierfassung bitte) und den Wunderhorn-Vertonungen.