Warten auf den Schnee mit Kate
CD-KRITIK / KATE BUSH / 50 WORDS FOR SNOW
18/11/11 In den britischen Medien wurde über die illustre Schar der Gastkünstler auf 50 Words for Snow schon gemunkelt. Tatsächlich findet sich mit „Snowed in at Wheeler Street“ auf dem Album ein großartiges Duett mit Elton John. Im Titellied „50 Words for Snow“ spricht Stephen Fry die Figur des Professor Joseph Yupik. In „Wild Man“ sing Bush mit dem walisischen Sänger Andy Fairweather Low.
Von Nina Ainz
Sieben neue, lang ersehnte Songs, die allesamt um das Thema Schnee kreisen: Das versetzt Fans in vorweihnachtlich-seliges Entzücken. Schon seit Monaten läuft die PR-Maschinerie auch bei Kate Bush auf Hochtouren. Mittlerweile werden täglich auf der Facebook-Fanseite Meldungen zu den jüngsten Entwicklungen bekannt gegeben. Auf der offiziellen Homepage können sich Ungeduldige in der letzten Woche vor dem Erscheinungstermin jeden Abend jeweils eineinhalb Stunden lang einen Titel des Albums online anhören, selbstverständlich ohne die Möglichkeit, das Lied herunterzuladen und auf der Festplatte zu speichern.
Bei aller Kritik an so viel Marketingwirbel: Der Lärm ist nicht um Nichts. 50 Words for Snow ist ein Album, wie es schöner nicht sein könnte und beweist wieder einmal, dass Kate Bush ihrem Ruf als eine der vielseitigsten Künstlerinnen der Gegenwartspopkultur voll und ganz gerecht wird. Selbst eingefleischte Winterhasser werden sich in Zukunft nach der kalten Jahreszeit sehnen, um dieses Album auflegen zu können.
Die Songs nehmen sich viel Zeit, sich zu entwickeln. Getragen werden sie durchwegs von Klavier bzw. Keyboard, das Kate Bush selbst spielt. Die längsten Stücke, „Misty“, und „Lake Tahoe“, dauern über zehn Minuten. „Lake Tahoe“ ist Kino im Kopf: Das Lied erzählt die Geschichte einer einsamen Frau, die im kalten Bergsee lebt und auf die Rückkehr ihres alten Hundes wartet. „Misty“ ist eine jazzige, ausufernde Ballade, über die - nun ja - etwas schwierige Liebe zu einem Schneemann. Für Liebhaber von Pop-Epen werden diese zwei Lieder die besten des ganzen Albums sein.
Es scheint sich zum Trend unter exzentrischen Sängerinnen zu entwickeln, den Nachwuchs auch mitsingen zu lassen. So stellte schon Tori Amos ihre elfjährige Tochter Natashya auf dem Weihnachtsalbum Midwinter Graces vor und verlängerte die Mutter-Tochter-Zusammenarbeit auf dem kürzlich erschienenen Liederzyklus Night of Hunters. Auf Kate Bushs neuem Album singt ihr Sohnemann in „Snowflake“ mit jungenhaftem Sopran die Schneeflocke, Bush selbst gibt die Antworten. Das klingt nach unerträglichem Kitsch, aber Bush schafft es immer wieder, haarscharf an der Grenze zur Lächerlichkeit vorbeizuschrammen.
„Wild Man“, die erste Singleauskopplung des Albums, kommt einem klassischen Popsong wohl am nächsten. Beim fantastischen Refrain wird Bush von der eigenartigen Stimme des walisischen Sängers Andy Fairweather Low begleitet. Der Song zeigt einmal mehr Kate Bushs großes Talent, Geschichten zu erzählen, selbst wenn es die abgenützte Geschichte vom sagenumwobenen Yeti ist. Es erzählt außerdem vom Drang der Menschen, jeglichen Geheimnissen der Erde auf die Spur zu kommen: „They want to know you. They will hunt you down, then they will kill you”.
In den britischen Medien wurde schon seit einiger Zeit über die illustre Schar der Gastkünstler auf 50 Words for Snow gemunkelt. Tatsächlich findet sich mit „Snowed in at Wheeler Street“ auf dem Album ein großartiges Duett mit Elton John, in dem eine niemals endende Liebe Ausdruck findet. In dem eigenwilligen Titellied „50 Words for Snow“ spricht Stephen Fry, britischer Schriftsteller und Schauspieler, die Figur des Professor Joseph Yupik. Der Name ist Programm: Fry alias Prof. Yupik zählt fünfzig verschiedene Wörter für Schnee auf, darunter eine ganze Reihe an Begriffen aus der Sprache der Yupik. Dazwischen wird er von Kate Bush angefeuert. Eine außergewöhnliche Komposition.
Das rund einstündige Album schließt mit „Among Angels“, einer intimen Klavierballade, die auffälligerweise wenig bis nichts mit Schnee zu tun hat – der ist wohl in der Zwischenzeit geschmolzen. 50 Words for Snow ist ein wundervolles, avantgardistisches Popalbum. Kate Bushs Stimme ist merklich gereift, aber nach wie vor kraftvoll und glasklar. Bleibt nur zu hoffen, dass die produktive Phase – Bush hat erst im vergangenen Mai zum ersten Mal seit 2005 ein Album mit Neuinterpretationen von alten Songs herausgebracht – noch lang anhält. Der Frühling wird sicher wundervoll.