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Nimm dir zart lib ein klein gedult

CD-KRITIK / SCHEDEL'SCHES LIEDERBUCH

21/12/21 Hat schon was, das Neugier-Spektrum eines Universalgelehrten an der Kippe zwischen Mittelalter und Neuzeit. Was einem zum Nürnberger Arzt und Humanisten Hartmann Schedel (1440-1514) sofort einfällt, ist seine Weltchronik. Aber Musik?

Von Reinhard Kriechbaum

Aus der Schedel'schen Weltchronik haben Zeitgenossen alles herausgelesen, was 1493 aktueller historischer Wissensstand war von Adam und Eva bis zur Apokalypse – ein wenig Hypothese durfte damals schon sein, auch in einem historischen Werk. In Schedels Schriften wurden aber auch Leute fündig, die nach Rezepten zur Syphilis-Behandlung suchten. Und dann also noch das Schedel'sche Liederbuch, eine Sammelhandschrift, die heute zu den besonders gehüteten Inkunabeln in der Bayerischen Staatsbibliothek rechnet.

Selbst komponiert hat er nicht. Aber schon als junger Mann hat Hartmann Schedel, dieser sichtlich besessene Wissens-Zusammenträger, Musikstücke abzuschreiben begonnen. 130 sind es schließlich geworden, inhaltlich und sprachlich quer durch den Krautacker – aber mit besonders vielen, nämlich 75 deutschsprachigen Liedern. Ein schönes Kompendium aus der Epoche, da Nürnberg eine Metropole mit in internationalem Kulturaustausch war. Reizvoll die Vorstellung, dass Hartmann Schedel von einem Vetter ein Haus mit einem prominenten Bewohner erbte: Albrecht Dürer. Solche Mieter sieht man gerne. Dass Schedels Liederbuch den Musik-Alltag der Dürer-Zeit festhielte, kann man so nicht sagen: Die Notensammlung wurde schon in den 1460er Jahren veröffentlicht. Da war Dürer (Jahrgang 1471) noch nicht geboren.

Die Gesänge im Schedel'schen Liederbuch spiegeln, vor allem auch sprachlich, spätmittelalterlichen Gusto. Das lässt die Interpretation einiger Stücke durch die Sängerin Elisabeth Pawelke und ihr Ensemble Almara stimmig nachfühlen. Es ist – mit knapp 37 Minuten Spieldauer – eine eher knausrige, aber durchaus stimmige Auswahl. Ein bekanntes Stück von Guillaume Dufay (Se la face ay palle) soll dran erinnern, dass im Originaltitel von Schedels Sammlung von „Carmina francigenum“, also französischen Liedern, die Rede ist. Das ebenfalls dem Titel entnommene Attribut „predulcia“ – allerliebst – hat der CD den Titel gegeben.

Verbindender Inhalt der meist anonymen Gesänge: Immer wird der Verlust der Geliebten beklagt, weil der jeweilige Mann sich auf Reisen begeben musste. Alle hoffen darauf, dass es nach der Wiederkehr so gut geht wie früher. Die Qualitäten der Damen werden in allen Farben ausgemalt, derer die frühneuhochdeutsche Poesie fähig war.

Auf dem Gebiet kennt sich Elisabeth Pawelke mindestens genau so gut aus wie im Singen, denn sie hat auch mittelalterliche Germanistik studiert. Die vielen heute fremdartig anmutenden Textbetonungen, die man heute als „holprig“ klassifzieren würde, gehen ihr locker von der Zunge. Mit dem Affekt geht sie sehr bewusst und sparsam um – es eignet diesen Interpretationen etwas sympathisch Unaufgeregtes. Nicht nur die einstimmig überlieferten Lieder fordern improvisierte Nebenstimmen, es wird stilkundig ergänzt und koloriert. Einmal wird man mit rezitierten Strophen überrascht und ganz am Ende steht eine dreistimmige, vokale Fauxbourdon-Improvisation. Zwischen die Liedstrophen sind instrumentale Varianten eingeschoben, Flöten, Dudelsack, Renaissancegambe, Viella, dazu sparsame Akzente von Laute und Salterio und ebenfalls zurückhaltende, aber im besten Sinn nachhaltige Percussion. Da wird nichts überzeichnet und überzogen. Echt predulcis, würde der gebildete Humanist sagen.

Carmina Predulcia. Musik aus dem Schedel'schen Liederbuch (15. Jahrhundert). Elisabeth Pawelke (Sopran), Ensemble Almara. Naxos 8.551440 – www.naxos.com

 

 

 

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