Viola mit Rufzeichen
CD-KRITIK / BRATSCHEN-EXOTIK
12/12/17 Es gibt Instrumente, die einem Ehrfurcht einflößen, noch bevor sie erklingen. Die Amati-Bratsche im Dresdner Kunstgewerbemuseummit der Signatur 37526 ist so eines: „Antonius & Hieronymus Fr. Amati“ steht auf dem eingeklebten Zettel.
Von Reinhard Kriechbaum
Leider ist die Jahreszahl nicht mehr zu entziffern. Aber es gibt ja dendrochronologische Methoden, und deren Ergebnis legt die zeitliche Vermutung nahe: Heinrich Schütz war 1628 in Italien und mahnte in Cremona bestellte Streichinstrumente ein, darunter mit gewisser Wahrscheinlichkeit eben jene Bratsche von Antonio und Girolamo Amati.
Gut möglich, dass genau dieses Instrument schließlich unter seiner Leitung in den Gottesdiensten in der Dresdner Hofkirche gespielt worden ist. Jedenfalls gehörte die Amati-Bratsche über die folgenden Jahrhunderte zum kirchenmusikalischen Instrumentenbestand. Sie überstand die Bombennacht des 13. Februar 1945 dank beherztem Einsatz einiger Kapellmitglieder. Und noch einmal, als sie gestohlen wurde, war sie in Gefahr.
Nun ist sie im Museum: ein Beispiel für ein immer verwendetes, deshalb mehrmals umgebautes Instrument. Es atmet nicht unbedingt Klang-Authentizität, aber Geschichte. Im Kunstgewerbemuseum steht auch ein zweimanualiges Cembalo, von dem aus Johann Adolph Hasse die Aufführungen in der Dresdner Hofoper leitete. Also auch ein Ding mit historischem Gewicht.
Es gibt noch andere gute Gründe, dem Wort Viola ein Rufzeichen anzufügen im Titel dieser CD, auf der Anne Schumann und Klaus Voigt (mit Sebastian Knebel am erwähnten Cembalo) ein wenig Klangfarben-Verführung betreiben: nicht nur mit der Amati/Schütz-Bratsche. Auch zwei Violen d'amore kommen zum Einsatz, in anonymen Suiten des frühen 18. Jahrhunderts und in einer frühklassischen Sonate von einem Giuseppe/Joseph Schmitt. Ob's der zur Mozartzeit in Amsterdam tätige Verleger gleichen Namens war, ist nicht zu beweisen und tut wenig zur Sache. Interessanter ist es, den unterschiedlichen Klangfarben zu lauschen, denn da ist noch etwas Originelles: Klaus Voigt spielt auf einer „Viola da spalla“, dem Klang nach ein Violoncello, der Größe und Spielweise nach eine Bratsche (sogar ein klein wenig kürzer als der Corpus der Amati-Bratsche). Geschmeidig klingt das, aber nur hörend würde man wohl nicht ein solches Cello/Bratschen-Hybrid-Tonwerkzeug vermuten.
Der Cornetto-Verlag, der diese CD herausgegeben hat, will damit nicht zuletzt auf von ihm aufgelegte Bratschen-Noten aufmerksam machen. Gewiss ist dieser Verlag eine gute Adresse für Instrumentalisten, die das Ausgefallene suchen. Ein Trio von Johann Daniel Grimm (1719-1760), eine Sonate von Phelipe de los Rios (1745-1801) sind eingespielt. Das Werk des Spaniers wurde Bratschisten vorgelegt, die in die königliche Hofkapelle in Madrid aufgenommen werden wollten. Ein Probespiel-Stück!