Noch einmal ihrer Dreiunddreißig...
CD-KRITIK / DIABELLI-VARIATIONEN
18/01/17 Ludwig van Beethoven legte die Latte mit seinen Diabelli-Variationen hoch. Deshalb traute sich niemand in seine Fußstapfen – bis Franz Hummel den Fehdehandschuh aufnahm. Angela Cholakian widmete ihr Einspielung seinem durchaus interessanten Gegenstück.
Von Horst Reischenböck
Offiziell verlegte der aus Mattsee gebürtige Anton Diabelli einst in seinem Wiener Musikverlag als eine Art „Vaterländische Anthologie“ fünfzig Veränderungen über sein Thema, zu denen er Zeitgenossen angeregt hatte. Tatsächlich erhielt er mehr, etwa durch Mozarts Sohn Franz Xaver Wolfgang oder durch Ludwig van Beethoven, den das von ihm als „Schusterfleck“ titulierte Original zu seinem als Opus 120 extra veröffentlichten Kompendium anregte. In diesem lieferte er dem Spieler/Hörer eine ganze Bandbreite an Ideen lieferte.
1981, zu Diabellis 200. Geburtstag, regte der ORF österreichische Komponisten an, sich an einer Fortsetzung zu beteiligen. Letztendlich waren es 17, darunter Helmut Eder, Herbert Lauermann, Gösta Neuwirth, Robert Schollum, Jenö Takàcs und Gerhard Wimberger. Das Projekt der Abteilung für Tasteninstrumente der Universität Mozarteum ist auch auf DVD dokumentiert worden.
Ob sich damals Franz Hummel auch davon angesprochen fühlte? Der Komponist, der einst anlässlich der Uraufführung seiner Oper „König Ubu“ 1984 am Salzburger Landestheater fast einen Skandal provozierte, ist selbst veritabler Pianist und als Ausführender mit Beethovens schier übermächtigem Vorbild vertraut. Was Franz Hummel selbst sogar als „Sakrilegs“ bezeichnete, nämlich Beethoven nachzueifern, legte die aus Russland stammende Amerikanerin Angela Cholakian ihrer Debüt-CD zugrunde.
Dazu passt, dass die maßstäbliche Einspielung von 1970, in der sich Friedrich Gulda mit Beethoven auseinandersetzte, einfühlsam auf neuestem technischen Stand remastered wieder erhältlich ist. Gulda eilte damals, ausgehend von der Annäherung des zugrunde liegenden Walzers an ein Scherzo, mit sagenhaftem Furor durch die Miniaturen und reizte von Stakkato-Akkorden bis zu zartesten Lyrismen alle dynamisch möglichen Schattierungen bis ins Letzte aus. Nach wie vor ist Guldas Lesart der Fuge ein Erlebnis - wobei man freilich anmerken könnte, dass der vom Kollegen Alfred Brendel darin erkannte Humor bei Gulda eine Spur zu grimmig ausfiel.
Über Humor verfügt Franz Hummel (Jahrgang 1939), der u. a. in Salzburg studierte, in großem Maß. Als Korrelativ ein „aus Alt mach Neu“: Auch er verlangt vorerst marsch-haftes Behämmern der Klaviatur, aufmüpfiges Eilen wie ein Wirbelwind durch danach aber logischerweise moderne Harmonien und zwischendurch abruptes Wechseln in meditativ romantische Klänge. Die 8. Variation liefert Assoziationen an Beethovens Sinfonie Nr. 8. Ein gefühlvoller Ländler, geisterhaft spukende Impressionen, eine Arie werden von einem heraus gemeißeltem Trauermarsch und einer virtuosen Toccata gefolgt. Zum Schluss überrascht dann ein amüsanter Ragtime.
Wie Franz Hummel selbst schreibt, sei das alles „aus der Luft gegriffen, frei von Geschmack, ohne Stil, künstlerisch absolut gewissenlos, überhaupt nicht modern“. Aber gerade dadurch wirken diese Variationen erfrischend, spontan und ideenreich, anregend und vor allem Spaß bereitend. Ein Reichtum an Ideen für Klavierliebhaber und Kenner mit Facetten, denen Angela Cholakian ambitioniert nachspürte.