So redet Gott im barocken Rom
CD-KRITIK / HÄNDEL / KANTATEN
23/12/16 Wenn sich ein Erzmusikant wie Giulio Prandi mit seinen Ensembles aus Pavia, dem Ghislieri Choir & Consort, über das „Dixit Dominus“ macht, dann vermeint man das figurenreiche Treiben gleich auf mehreren barocken Deckenfresken zugleich im Ohr zu haben.
Von Reinhard Kriechbaum
Gott haut nicht auf den Tisch. Der Psalm 110, fester Bestandteil der Sonntagsvesper, wird argumentiert wie ein rhetorisches Meisterstück, in dem jedes Wort sticht und der Redner mit jeder Formulierung geradezu schmerzhaft ins Schwarze trifft. Es mag schon sein, dass mancher Hörer beim Festival d'Ambronay 2014 angesichts der wahrhaft niederschmetternd rausgestoßenen Silben „Conquassabit“ unwillkürlich den Kopf eingezogen hat: Dort ist dieses Werk live aufgenommen worden. Auch die anderen Stücke auf dieser CD sind Konzertmitschnitte. Die Kantate „Donna, che in ciel“ erklang so bei den Händel-Festspielen in Göttingen 2015, die ultra-ruhige Kurz-Kantate „Ah che troppo ineguali“ bei „Pavia Barocca“ im selben Jahr.
Alle drei Stücke stehen für die schier überwältigende Energie und Erfindungskraft des 21jährigen Georg Friedrich Händel. So wusste der „Sassone“ 1707 seine römischen Zuhörer, allen voran die Kardinäle Ottoboni und Colonna, im Handstreich für sich einzunehmen. Giulio Prandi ist ein ausgewiesener Spezialist für die geistliche Musik in Italien im 18. Jahrhundert, und er ist mit seinen Ensembles für diesen Musikbereich etwa das, was nun schon vor gut einem Vierteljahrhundert Giovanni Antonini und „Il giardino armonico“ für die venezianische Instrumentalmusik waren – aber eben mit der heute vorauszusetzenden Brillanz, die einen in diesen Livemitschnitten beinah sprachlos macht.
Dass der Herr am Tag des Zorns Könige zerschmettern wird, daran besteht in dieser Interpretation jedenfalls nicht der leiseste Zweifel, aber auch nicht daran, dass der Trost suchende aus dem Bach am Weg trinken wird (die Chor-Männerstimmen kommen wie aus dem Off bestätigend zu den beiden Solistinnen). Ähnlich zur Nervenberuhigung gut ist die Kantate „Ah che troppo ineguali“, ein flehentliches Friedensgebet an die Gottesmutter. Die Sopranistin Maria Espada macht das eindringlich um mit präzis intonierten Vorhalt-Ketten.
Und eine dritte geistliche Spielart von Händels musikdramatischer Kunst: Die Gegend um Rom war schon damals von Erdbeben gefährdet, gerade 1704 hatte es große Zerstörungen rund um die Ewige Stadt gegeben, nicht aber in Rom selbst. Grund also für musikalisch zelebrierte Dankbarkeit am Jahrestag. Die Kantate „Donna, che in ciel“ ist kein Stück für die Liturgie, sondern für den Kardinals-Palast, in diesem Fall wohl für jenen des Monsignore Ottoboni, der als Händel-Mentor in Folge keine geringe Rolle spielen sollte.
Drei Mal früher Händel in Referenz-Interpretationen.