Das Legendäre in uns
LESELAMPE / MUSEUM DER MODERNE / HANNO MILLESI
04/12/18 Was, wenn eine Schutzmaßnahme bedingt, dass man in ein Museum eingeschlossen wird? Wie könnte sich so ein Museumsbesuch auf unbestimmte Dauer gestalten? Dieser Frage widmet sich Hanno Millesi in seinem Roman Die vier Weltteile.
Von Laura Trauner
Zwei Erwachsene und vier Kinder unterschiedlichen Alters befinden sich eingeschlossen in einer Kunstausstellung: Genau das ist die Ausgangssituation der Handlung des Romans Die vier Weltteile, aus dem Hanno Millesi auf Einladung des Literaturforums Leselampe und des Museums der Moderne passenderweise in den Ausstellungsräumen des MdM las.
Sind der Grund für den unfreiwillig verlängerten Museumsaufenthalt tatsächlich technische Probleme? Kann vielleicht die verwirrte Frau Auskunft geben, die sich der Gruppe anschließt? Ferner: Lassen sich vom Motiv des Turmbaus zu Babel, dem Gemälde Peter Bruegels des Älteren, etwa Schlüsse auf die Zukunft ableiten? (Die sensationelle Pieter Breugel-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum ist übrigens noch bis 13. Jänner zu sehen, Anm.) Und was, wenn man den Anlass für die unvorhergesehene Situation erahnt? Ist man dann dazu verpflichtet, andere Museumsbesucher darüber in Kenntnis zu setzten, oder würde man dann ebenfalls für verrückt erklärt werden? Wirft man unter Erwachsenen nicht ohnehin schon warnende Blicke in die Runde? Diesen Gedanken jagt unterdessen der Ich-Erzähler hinterher.
Die Kinder hingegen scheinen sich an den vermeintlichen technischen Problemen nicht zu stören. Interessiert an den Kunstwerken und mit der einen oder anderen ernstgemeinten oder scherzhaften Frage, die so manchem erwachsenen Museumsbesucher Kopfschmerzen bereiten mag, bahnen sie sich einen Weg durch die Ausstellung und stoßen dabei zwischen regen Diskussionen nicht nur auf neue Erkenntnisse, sondern ebenso in neue Gefühlslagen vor. Sie erreichen damit, dass sich der Ich-Erzähler angesichts der immer wieder überquellenden Gefühlsregungen der Rasselbande, unentwegt daran erinnert fühlt, wie es ihm in seiner Kindheit beim Lesen von Winnetou-Romanen ergangen ist, erinnert sich etwa an ein Weinen um des Legendäre in sich selbst, trotz völliger Bewusstheit der Fiktionalität der Handlung… Überraschenderweise ist es letztendlich das jüngste Kind, dem sich anhand der Betrachtung des titelgebenden Gemäldes folgende Erkenntnis erschließt: Wahrgenommen werden nur, was bereits verinnerlicht ist.
In seinem Roman Die vier Weltteile nach dem gleichnamigen Ölgemälde des Barockmalers Peter Paul Rubens schickt der Autor Hanno Millesi die Protagonisten der in seiner Heimatstadt Wien situierten Handlung auf einen Streifzug durchs Kunsthistorische Museum.
Während sich im Foyer des Gebäudes ein Gewaltakt abspielt, befassen sich die Protagonisten während einer Zeitspanne der Ungewissheit mit den Gemälden der Ausstellung. Aufgezeigt wird ein Querschnitt verschiedener Bewusstseinshorizonte in Bezug auf deren Kunstverständnis. Dabei ist schwer sagen ist, wer hinsichtlich der Deutung von Katastrophe und Kunstwerken letztendlich im Vorteil ist. Hanno Millesi studierte an der Universität Wien und an der Hochschule für angewandte Kunst und ist somit auch „in der bildenden Kunst unterwegs“, oder zumindest bewandert, hat sich mittlerweile jedoch mehr der Literatur zugewandt, wie aus dem abschließenden Gespräch mit Magdalena Stieb, der Leiterin des Literaturforums Leselampe, hervorging.
Auf alle Fälle „in der bildenden Kunst unterwegs“ sind im übertragenen Sinn jedenfalls die Protagonisten seiner Romanhandlung, insbesondere die Kinder, die sich mehr noch als die Erwachsenen und völlig unbefangen auf die Gemälde einlassen können. Ein hervorragendes Bild verschiedener Kunstrezeptionen!
Zum dpk-Bericht über die Breugel-Ausstellung in Wien
Der „drollige“ Menschenversteher
Bild: Edition Atelier / Jorghi Poll