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Nur die Bäcker haben noch ein Model

BUCHBESPRECHUNG / SCHUTTING / AM SCHREIBPLATZ / RAURISER LITERATURTAGE

09/04/10 Stillzuhalten im Warten, bis eine erste Zeile sicht einstellt und einem weitere zufliegen… Andere reisen um die Welt, auf der Suche nach „Inspiration“ oder auch nur „Stoff“ für ihr nächstes Buch. Julian Schutting ist ortsfest (außer, dass er gelegentlich wandert). Er hält an einer geradezu benediktinischen „stablitas loci“ fest, bleibt „Am Schreibplatz“ - und entdeckt Welten. Sich und anderen.

Von Heidemarie Klabacher

… kaum nämlich hat man sich hingesetzt, hingezogen von dem Bedürfnis, vor Schreibblättern zu sitzen, die zu ihrer Rechten einen Kugelschreiber und neuerdings zwei Bleistifte liegen haben, weiß man sich in sich gefestigt.

Von diesem sicheren Standort oder Sitzplatzplatz aus gelingt es Julian Schutting, scheinbar unbedeutende Ereignisse oder Alltagsgegenstände zum Nukleus hinreißender Schilderungen werden zu lassen. Schilderungen, die in Nebensätzen Wendungen nehmen, die staunen machen - und damit an den Urgrund allen Philosophierens führen.

Besagte zwei Bleistifte, aus dem Eingangszitat, werden etwa akribisch genau beschrieben. Die elegante Bearbeitung (der Querschnitt ein Sechseck) eines resedagrünen FABER CASTELL 9000 2H freilich gibt dem Autor zu denken: …seine Kanten sollten mich besser nicht mahnen, daß im Schreiben die Hand Haltung zu wahren hat - da dreh ich liebe vor Unschlüssigkeit an den runden herum…

Wo Bleistifte sind, sind auch Radiergummis nicht fern. ein Viereckiger, einem Ziegel nachgeformt, war dir als einem Schulkind ein weißer Elefant, erinnert sich Schutting. Da war auch noch der nicht gemochte, schmal-lange, halb rote, halb blaue, also der „klassische“ Radiergummi: die rauhere Hälfte dürfte für Tintenschrift tauglich gewesen sein, aber Tintenkleckse hat besser die Großmutter weggeschabt mit einem winzigen Damentaschenmesser. Das Palimpsest der Erinnerung führt in ungeheure Tiefen. Dass er dann im Kontext des Wortfeldes „Radiergummi“ quasi im Nebensatz auch noch die politisch korrekte Bedeutung des Wortes „ausradieren“ zu streifen weiß, verwundert kaum noch.

Die Frage des Autors an den Leser (in Klammer): gibt es noch Bleistiftbenutzer, die den Bleistiftstummeln zu deren Verlängerung Hülsen wie Mützen aufsetzen sei zwischendurch und rasch mit „Ja“ beantwortet. Es gibt sogar die Hülsen noch und nicht nur bei „Manufaktum“.

Dass das Ganze keineswegs so locker und lässig daherkommt, wie es in der Beschreibung klingt, versteht sich von selbst: Julian Schutting macht es seinen Leserinnen und Lesern nie wirklich leicht. Ob er nun geht oder sitzt. (Weder im Gehen noch im Schreiben zu denken, das, Monsieur Descartes, bin ich. und würde im Nicht-mehr-Gehen meine Identität noch schneller los als im Nichts-mehr-Schreiben). Seine Sprache führt nicht geradlinig in die Tiefe der Dinge, sondern schraubt sich ins Material,  natürlichen Kavernen und Flussläufen folgend, die Schutting freizulegen weiß, ohne die kunstvollen Meander zu begradigen (und sei es auch nur unter Anwendung eines Radiergummis).

Ob Assoziationen beim Anblick eines Radiergummis drinnen, bb Wolken, Pirole oder Mauersegler draußen: Leicht zu lesen ist das alles meist nicht. Aber ein Buch wie „Am Schreibplatz“ ist ja ohnehin kein Roman, den man zügig konsumiert, um an das Ende einer Geschichte zu kommen. In einem Buch wie „Am Schreibplatz“ geht es jeweils genau um den Augenblick, den der Autor gerade mit seiner Leserschaft zu teilen bereit ist. Und jeder Augenblick ist quasi für sich zu genießen, zu bestaunen, ja sogar manchmal zu beschmunzeln.

Etwa die Versicherung: Baukran noch da - Ausgangspunkt einer der schrägsten und gleichzeitig am stärksten geschmiedeten und gehaltvollsten Assoziationsketten: Baukran, STRABAG, Milchstraße, Observatorium, Stifter. Und von da zu einer Erinnerung an die erste Klasse Gymnasium, in der Stifters „Granit“ fertig zu lesen gewesen wäre (müssen andere Zeiten gewesen sein, heute liest man Stifter ja kaum mehr im Germanistikstudium) und Zögling Schutting sich mit stifter’scher Akribie an die Schilderung der Kirschbäume macht… Das hat unglaublich viel Witz, natürlich nur für Stifter-Freaks.

Aber Literaturfreaks aller Arten finden immer wieder solche Anspielungen, etwa die Formulierung wie denn in unserer so und so beschaffenen Welt ein zeitgemäßes Mondgedicht zu beschaffen sein hat ….

Fast lieber wär’s uns gewesen, der Dichter wäre diesmal daheim „Am Schreibplatz“ geblieben, und nicht im letzten Kapitel nach Umbrien gezogen. Auch toll, natürlich. Nicht in die Verbannung geschickt (nicht Tomi, da war doch Ovid - oder?), sondern um als Freiwilliger dreißigtägige freiwillige Enthaltsamkeit zu üben hinsichtlich des Gewohnheitstriebes, an jedem neuen Ort lieber etwas Neues aufzuschreiben als Rohentwürfe anderswo als an altvertrauter Arbeitsstätte mir zum Fraß vorzuwerfen….

Julian Schutting: Am Schreibplatz. Verlag Jung & Jung, Salzburg, 2010. 253 Seiten, 22 Euro.

Julian Schutting liest am Samstag (10.4.) um 17 Uhr bei den Rauriser Literaturtagen. Weiters lesen Arno Camenisch, Marica Bodroži? und Samson Kambalu; anschließend bis 22 Uhr sind Katja Lange-Müller, Péter Esterházy, Wolf Haas und Hubert von Goisern im Gasthof Grimming zu Gast.

 

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