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Luftgetrocknete Sonettwurst

BUCHBESPRECHUNG / KRECHEL / JÄH ERHELLTE DUNKELHEIT

02/04/10 „Und nie ohne ein Gedicht im Nacken…“, schreibt Ursula Krechel in ihrem Text „Artmann, Artista (1921-2000)". Ob das nicht auch für die Autorin selbst gilt, die in ihrem jüngsten Roman "Shanghai fern von wo" Poesie in die große Form zu gießen wusste - und jetzt mit dem Gegenteil fasziniert.

Von Heidemarie Klabacher

Ein knappes Porträt, diese Artmann Hommage, keine Anbiederung, kein Wort zuviel - obwohl Märchen darin anklingen, Sprichwörter und Große Sprüche:

Ein Herr von Hoher Gestalt, zerbrechlich
Aller Sinne mächtig, aufrecht der Gang, das Wort
Ein Eingeborener der großen Städte

Oder das große Gedicht „Aus dem Jahrhundert der Briefschreiber“. Poetisch der Beginn - ein Liebesgedicht in einer Strophe:

Sagst Du „Lieber“, schreibst du „Liebster“ gar und
Sagst du’s, wie du’s sprichst, oder hast du endlich
Geschrieben, was du nicht sagten konntest (wolltest)
In die Wolken gebettet schriftlos regenpfeiferisch

Dann aber nimmt der Text seine Wendung von der reinen Poesie (einer Liebeserklärung nicht durch die Blume, sondern durch das Medium neutralen Papiers) zu stark poetisch verbrämten Ironie, die ihrerseits die Phantasie beflügelt, wie sie da Amtsbriefe auf ein ganz ureigenes Korn nimmt:

Geehrter Herr Ausrufezeichen! wie der Wind pfeift -
Sehr geehrter Wind, ein Hufeisen fliegt durch die Luft.
Ersuche Sie dringlich, die Dachziegel nicht zu schädigen
Und bitte um Rücksicht auf das schlafende Kindeskind
                                                    Fäustchen und Milch

Was dann strophenweise ausschaut wie bloß leicht verfremdete Rückblicke auf klassische Naturlyrik, zeigt der Erwartungshaltung alsbald die Nase. Einfach bös, die Formulierung von der Tinte, die in Eichenfässern reift. Wein- und Sprachgourmets feinerer Provenienz bekommen beide ihre geschmäcklerische Eitelkeit vor Augen gestellt:

… Jahrgangstinte maßlos
Übertreiben, absatzfähig wie luftgetrocknete Sonettwurst

Eine ganz besondere Atmosphäre - schwebend zwischen spiritueller Freiheit und intellektuellem aber auch körperlichem Eingesperrt sein - vermittelt der Zyklus „Mitschrift des Sommers“: In fünfzehn Gedichten schildert Ursula Krechel Eindrücke von ihrem Aufenthalt in einem geistlichen Damenstift. Meisterhaft spielt Ursula Krechel auch hier mit Motiven und Zitaten aus der Literatur- vor allem aber auch der Kunstgeschichte: Das Bild von der Madonna im Erdbeerfeld, die das Ungeborene mit Erdbeeren nährt - von Krechel erdichtet wie von Lochner gemalt - kippt innerhalb von nur acht Verszeilen in eine dürre Skizze körperlichen Unerfülltseins, In das Bild von einem nie geborenen Kind, „das keine Segenshand hat“. Ganze Motivfelder mittelalterlicher Dichtung komprimiert Krechel etwa im Text „Hortus Conclusus“, vom mauerumfriedeten Garten bis zum Kopf des Einhorns im Schoss der Jungfrau.

Die Stiftsdamen lesen Lateinisch
Hinter den Mauern Witwen, Töchter
die überzähligen Äste im Stammbau

Knapper und erschreckender hat wohl nicht niemand den (ehemaligen) Zweck und das Elend der Bewohnerinnen „Adeliger Damenstifte“ auf den Punkt gebracht.

Zähren sterben nicht (bei keiner Geburt)
Biegsam nicht mehr, regsam vielleicht
Fort und fort Geschlecht für Geschlecht
Damendramen hinter hohen Mauern

Reformation, Bildersturm und ganze Jahrhunderte Kirchengeschichte bringt Ursula Krechel ebenfalls auf die Reihe weniger Verse:

... der Besitz
zerstreut, der Fürst der die Religion diktiert
Reformiert, der Glauben eine pikierte Pflanze
die andere Blüten treibt

Ursula Krechel: Jäh erhellte Dunkelheit. Gedichte. Verlag Jung & Jung, Salzburg 2010. 103 Seiten, 20 Euro.

 

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