Krummes könnt' nicht g'rader sein
17/03/10 „Maul halten, ich muss mich konzentrieren.“ H.C. Artmann, wortkräftig wie immer, gehört der erste Satz im Salzburg-Buch von Renate Just: Wie der große Wort-Spieler Artmann, hat auch die Autorin der „Krumme-Touren"-Reisebegleiter größte Probleme mit der Orientierung in der Mozartstadt.
Von Heidemarie Klabacher
Man möchte nicht glauben, dass sich noch immer Stoff für neue Salzburg-Bücher findet. Dass es noch immer Facetten der Stadt gibt, die noch nicht geschichts-, musik- oder sonst wie-wissenschaftlich ausgeleuchtet und/oder literarisch-belletristisch-touristisch verarbeitet wurden.
Einen der letzten wundersam überraschenden Beiträge haben ja Peter Mittermayr und Hans Spatzenegger mit ihrem Pustet-Buch „Die Welt zu Gast in Salzburg“ geliefert. Nun also hat sich Renate Just auf eine ihrer berühmten „Krummen Touren“ begeben: Nach Besuchen bei den Franken und im Alpenvorland, im Chiemgau und im Salzkammergut, in Niederbayern und bei den Nachbarn Österreich und Böhmen widmete Renate Just sich in ihrer ersten reinen Städtereise just der Stadt Salzburg.
Nicht wenig Ehre. Denn die im Verlag Antje Kunstmann erscheinenden Bücher von Renate Just sind mehr als nur informative und minutiös recherchierte Reiseführer, sie bestechen vor allem durch ihre sprachlich-literarische Qualität und die Atmosphäre, die sie vermitteln. Essays sind das, in der die Eindrücke (und natürlich die zugehörigen Informationen) über die jeweiligen „Touren“ durch die Stadt zusammenfließen.
Dass Renate Just dabei Orte und Geschichten zu Tage fördert, die man - trotz akribischen Rezensierens aller neuen Salzburg-Bücher - auch als Salzburg-Freak nicht kennt, erhöht das Vergnügen.
Wo würden Sie das „Bettelumkehrhaus“ suchen? Am einfachsten im Kapitel „Das ‚Kalte Baronhaus. Rechts der Salzach, Kapuzinerberg, Andräviertel“. Dieses beginnt gleich einmal mit einer gehörigen Beleidigung der Salzach, „ein etwas mickriges Wässerchen, kein Vergleich mit den stromartigen Durchzügen von Donau/Inn durch das historische Passau, Regensburg, sogar Linz“, und mit der Frage, „warum die Wohnungen im neuen Luxusobjekt Imbergstraße 31 ab 600.000 Euro bis in den Millionenbereich kosten“ angesichts des Verkehrs, der die Imbergstraße „durchzischt“. - Solche Bemerkungen en passant bezeugen, dass die Autorin bis kurz vor Drucklegung recherchiert haben muss - zahlreich sind die Anspielungen auf aktuelle und aktuellste Entwicklungen städtebaulicher oder kultur-politischer Natur (die „Stolpersteine“ etwa sind erwähnt im Zusammenhang mit dem „Zigeunerlager“ Maxglan).
Aber wir waren in der Imbergstraße. Der Konditorei Ratzka erweist Renate Just selbstverständlich die gebührende Reverenz. Am Äußeren Stein biegt sie ab. Arenbergstraße und Pausingerstraße „sind stille schmale Straßen mit einiger erhaltener Barock-Bebauung und einer Atmosphäre wie aus einem Hofmannsthal-Stück“. Das „Kalte Baronhaus“ aus der Kapitelüberschrift hat die Nummer Arenbergstraße 19. Der Baron (Losy von Losenau aus galizischem Adel, Kämmerer in habsburgischen Diensten) soll nur kalte Speisen vertragen… Später sei das Familiensitz der Familie Schuchter geworden.
Der Brand von Schloss Arenberg wird auch erwähnt. Von 1912 bis 1922 hat dort Hermann Bahr gewohnt - äh residiert, „mit seiner Gattin, der statiösen Wagnersängerin Anna Mildenburg und einer Bibliothek von zwölftausend Bänden“. Katholisch geworden sei Bahr in Salzburg auch, sagt Just. Die echten und weniger echten Römerfunde des Herrn Joseph Rosenegger am Bürgelsetin werden ebenfalls gewürdigt. Und dann kommt auch schon bald - mit Nr. 33 - das „Bettelumkehrhaus“: Es bildete die Grenze, „die Bettler und Hilfsbedürftige ehedem nicht überschreiten durften“. An der Gabelung von Arenberg- und Pausingerstraße ist es Zeit für ein wenig Vergangenheitsbewältigung: Das Schloss Elsenheim „war zeitweilig das Wohndomizil des sehr namhaften aber schillernden Salzburger Galeristen Friedrich Welz…“
Schloss Blumenstein ist heute der Sitz der Firma „Jordis - Salzburger Handdrucke“, „fern von Alpenkitsch, nicht ganz billig“. Dann ist es nicht mehr weit und man findet sich über dem Borromäum wieder. Wolf Haas’ „Silentium“ hat Renate Just natürlich auch gelesen. Nicht ohne zu betonen: „Die Übeltaten am bischöflicen Knabenkonvikt ‚Marianum’ - ekelhafter Mord, sexuelle Übergriffe im Hygieneunterricht - haben im realen, modernisierten Borromäum natürlich keine Vorbilder.“ Irgendwann dreht die Autorin auf dieser „Krummen Tour“ dann um, und schaut im Antiquariat Weinek vorbei, bei „Unserer Andi“ oder beim Hotel Stein. Und dann geht über die Imbergstiege hinauf auf den Kapuzinerberg. Dass „soll“ im Satz, dass Mozart auf dem Orgelpositiv in St. Johannes am Imberg gespielt haben „soll“, kann man nur unterstreichen. Aber das Pfeiffenmaterial ist sicher aus der Zeit.
Und so könnt man weiter zitieren und weiter erzählen - durch dieses Kapitel und durch alle anderen Kapitel auch: "Ich bin ein Ortschriftsteller. Peter-Handke-Land" oder "Einmal, glaube ich, werde ich Heimweh haben. Über den Mönchsber oder "Die Gegend hat viel Variation. Auf die Höhen - Nordostrunde um Salzburg herum": Ein Salzburg Buch, auf das nicht mehr zu verzichten ist.
Was ganz Besonderes: Das Lektüreverzeichnis, in dem die Autorin Bücher empfiehlt: Die Liste „Zu Salzburg allgemein“ wird angeführt von „Dopsch, Kleine Geschichte Salzburg, Pustet 2009“, die Liste zu „Zu Salzburg zeitgeschichtlich“ von „Rolinke/Lehner/Strasser: Im Schatten der Mozartkugel. Reiseführer durch die braune Topographie von Salzburg, Czernin Verlag 2009) und eine repräsentative Auswahl von Werken eng mit Salzburg verbundenen Autoren gibt es auch. Eine Fundgrube.